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4. Parteipolitische Konfliktszenen
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Kandidatur und schob die Versetzung auf Verweigerung des Gehorsams und un-
diszipliniertes Verhalten der Beamten.51 Offenbar wertete man eine Bewerbung für
ein politisches Amt bereits als Verweigerung des Gehorsams.
In nicht hochrangigen Fällen wurde von den zuständigen Behörden versucht,
mit „großer Behutsamkeit“ vorzugehen, was nicht ganz einfach war.52 „Einerseits“,
so berichtet Robert Ehrhart (1870–1956) über das Vorgehen des Ministeriums für
Cultus und Unterricht (damals junger Beamter in diesem Ministerium, später
dem Ministerratspräsidium zugeteilt, wo er Sektionschef wurde und in der Ersten
Republik Vizepräsident des Industriellenverbandes), „durfte öffentliches Ärgernis
nicht ungesühnt bleiben, andererseits wollte man keine Märtyrer schaffen und
neue Reizungen vermeiden. Aber man musste doch einschreiten, wenn beispiels-
weise ein schönerianisch eingestellter Lehrer bei einer Sonnwendfeier über den
brennenden Holzstoß sprang mit den Worten:
,Schwarz ist die Finsternis, gelb ist der Schein,
Drum will ich mein Lebtag kein Schwarzgelber sein‘.53
Bei hochrangigen Personen wurde später – zwar auch „behutsam“, aber doch –
mit großer Besorgnis und ebenso großem behördlichen Aufwand vorgegangen.
1911 wurde sogar der Ministerrat eingeschaltet, der sich mit der Kandidatur von
zwei Professoren in Mährisch-Schönberg (Šumperk) und Brünn (Brno) für die
Sozialdemokraten zu beschäftigen hatte. Man befürchtete allerdings um diese
Zeit, dass Abmahnungen nur noch mehr die Gemüter erhitzen und der Sozial-
demokratie Zugewinn bei den Wahlen bringen würden.54 Daher verzichtete man
auf eine Rüge und forderte die Beobachtung von Beamten in allen sozialdemokra-
tischen Vereinen. In diesem Sinn wurden die Sprecher aller Kategorien von Staats-
angestellten in einer gesamtösterreichischen Versammlung der Sozialdemokratie
im Oktober 1913 auf eine schwarze Liste gesetzt, darunter befand sich interessan-
terweise auch eine Frau, die durch ihren Vorgesetzten dafür gerügt wurde.
Andererseits gewannen die etablierten Parteien immer mehr Einfluss auf die
Personalpolitik innerhalb der hohen Beamtenschaft, wobei es nicht nur um Be-
setzungen, sondern auch um Absetzungen ging. Es ist selbstverständlich, dass In-
51 WIENER ZEITUNG, 22. Mai 1907, bei HAFNER, Sozio-ökonomischer Wandel, S. 29 f.
52 Dazu und zum Folgenden ROBERT EHRHART, Im Dienste des alten Österreich, hg. von
Anton Sperl-Ehrhart (Wien 1958), S. 97 f., zu Ehrharts Karriere S. 62 ff., 293, 306 und 401.
53 EHRHART, Im Dienste, S. 97.
54 HAFNER, Sozio-ökonomischer Wandel, S. 31.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277