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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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gönnt.116 Der bürgerliche Beamtensohn Ignaz Beidtel (1783–1865) war elf Jahre
Professor für Geschichte an der Universität Olmütz (Olomuc), wurde Appella-
tionsgerichtsrat beim Appellationsgericht in Zara (Zadar), später bei der glei-
chen Behörde in Fiume (Rijeka), Klagenfurt und Brünn (Brno), und erst im
Ruhestand 1850 wurde er als „Beirat“ für die Ordnung kirchlicher Angelegen-
heiten in das Ministerium für Cultus und Unterricht nach Wien berufen. Wenn
auch der Adel offiziell nicht bevorzugt werden sollte, so ist aus diesen wie aus
anderen beruflichen Lebenswegen ersichtlich, dass zumindest durch die finan-
zielle Unabhängigkeit vermögender adeliger oder großbürgerlicher Familien für
die jungen Beamten ein eineindeutiger Startvorteil gegeben war. Jedenfalls diente
dieses Karrieremuster der Qualitätssicherung, der junge Nachwuchs sammelte
Berufserfahrung in verschiedenen Behörden, in den ebenso verschiedenen Kron-
ländern mit der multinationalen Bevölkerung, deren Eigenheiten und Befind-
lichkeiten, Kulturen und Sprachen. Die Kenntnis der Landessprache sollte, wie
bereits besprochen, die Voraussetzung für den Dienst in dem jeweiligen Kronland
sein. Bei dem starken Wechsel konnte das Prinzip jedoch oft nicht eingehalten
werden. Es gab jedoch Beamte, die die Landessprache einer angestrebten Verset-
zung wegen erlernten. Ein solches Beispiel repräsentiert der Dichter, Schriftsteller
und Politiker Adolf Ignaz Ritter von Tschabuschnigg (1809–1877), zu Beginn sei-
ner Karriere (1830) Praktikant am Landesgericht in Klagenfurt, am Ende (1859)
erfolgte die Berufung als k. k. Hofrat am Obersten Gerichtshof in Wien – dazwi-
schen lagen die Stationen Triest, dann wiederum Klagenfurt und Graz. Er erlernte
das Slowenische, um eine besser besoldete Stellung in Görz/Goricia zu erhalten.117
Im Verfassungsstaat wurde am Prinzip einer möglichst umfassenden multinati-
onalen/multikulturellen Ausbildung der Beamten in der Berufslaufbahn zunächst
festgehalten. Vorderhand hatte man sich beinahe ausnahmslos „hinaufzudienen“.
(Galizien mit der polnischen Autonomie bildete, wie schon besprochen, diesbe-
züglich freilich eine Ausnahme.) Selbst dem hannoverischen Aristokraten und
hoch geachteten Beamten Erich Graf Kielmansegg (geboren 1847) war dieses Los
– wie selbstverständlich auch allen anderen weniger „Hochgeborenen“ – beschie-
den. Doch verlief seine Karriere zügig, was sicherlich von seinen anerkannt gro-
ßen bürokratischen Kenntnissen und hohen Fähigkeiten abhing, doch stand die
116 Zur Karriere Stadions und Beidtels HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 74 und Vor- und Nach-
satz.
117 Lebenslauf von Primus-Heinz Kucher in ADOLF RITTER von TSCHABUSCHNIGG (1809–
1877). Literatur und Politik zwischen Vormärz und Neoabsolutismus; hg. von Primus-Heinz
Kucher (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 13, Wien/Köln/Weimar 2006) , S. 335 ff.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277