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6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus
adelige Abkunft seinem Aufstieg wohl nicht im Weg. Kielmansegg trat nach sei-
nem Jusstudium in Heidelberg und Wien in die niederösterreichische Statthalterei
in Wien ein (1870), diente zwei Jahre (1873–1875) dem liberalen Ministerpräsiden-
ten Adolf Graf Auersperg als Sekretär, wurde Bezirkshauptmann von Baden (1875–
1881), anschließend vom damaligen Wiener Vorort Sechshaus (1881/82), er trat in
die Landesregierungen von Czernowitz (Cernãuţi, Černivci, Černovcy, 1882–1885)
und Klagenfurt (1885) über, von wo er bald eine Berufung zum Sektionschef im
Ministerium des Inneren und die Leitung der staatspolizeilichen Agenden erhielt.
Kielmansegg wurde für 22 Jahre Statthalter von Niederösterreich (1889–1911), un-
terbrochen nur für eine kurze Zeit (1895), in der er in einer Übergangsregierung
das Ministerratspräsidium und das Ministerium des Inneren leitete.118 Auch der
bereits erwähnte, etwa gleichaltrige spätere Statthalter von Tirol, Franz Graf Mer-
veldt (1844–1916) wechselte von Bezirkshauptmannschaften in St. Pölten/Nieder-
österreich und Salzburg und zu den Landesregierungen in Klagenfurt, Salzburg
und Graz, bevor er Landespräsident von Schlesien, Statthalter von Oberösterreich
und 1890 Statthalter von Tirol mit Vorarlberg wurde.119
Untersuchen wir allerdings stichprobenartig einige Karrieren von zirka 10 bis 15
Jahren später, etwa zwischen 1855 bis 1865 geborenen Elitebeamten, demnach erst
in der Spätphase der Monarchie ernannten Sektionschefs,120 so fällt auf, dass deren
Dienstbahnen in so manchen Fällen weniger bunt verliefen als die der vorange-
gangenen Generation. Es wird deutlich, dass viele der jungen Beamten in ihrem
„Heimatkronland“ in den Staatsdienst eintraten, um dann erst in die entsprechen-
den Zentralstellen nach Wien gesendet zu werden. Als Beispiele seien genannt
der promovierte Doktor der Rechtswissenschaften und der gesamten Heilkunde,
DDr. Franz von Haberler (geboren 1859 in Wien, Eintritt in den Staatsdienst 1892
in der Statthalterei von Niederösterreich in Wien, Sektionschef im August 1918,
Leiter der Sektion für Volksgesundheit), der immerhin in den Sanitätsbehörden
der Statthalterei von Niederösterreichisch, des Innenministeriums, den Landessa-
nitätsbehörden von Tirol und Vorarlberg seinen Dienst versah. Ebenso verlief die
Karriere des 1866 in Saaz (Žatec) geborenen Dr. jur. Josef von Mühlvenzl (Sekti-
onschef 15. Oktober 1912, Leiter der zoll- und handelspolitischen Sektion), der
nach dem Eintritt in den Staatsdienst in der Finanzprokuratur in Prag im Jahr
118 GOLDINGER, Einleitung zu KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 16.
119 K. FALSER, Franz Graf von Merveldt: In: ÖBL. 6 (Wien 1975) , S. 237 f.
120 GERTRUDE ENDERLE-BURCEL, MICHAELA FOLLNER, Diener vieler Herren. Biogra-
phisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 (Wien 1997).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277