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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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Eignung, Kenntnissen und bürokratischen Interessen mitbrachte. Protektion
durch eine adelige oder beamtete Familie, Verwandtschaft, Freundschaften oder
sonstige Beziehungen begleitet die Entwicklung des Beamtentums. Sie war auch
nach wie vor im Verfassungsstaat nach 1867 vorhanden, aber, wie bereits angedeu-
tet, nicht mehr modern. Kielmansegg berichtet uns (1871) von einem schlagen-
den Beispiel: Der aus einer Kärntner Gutsbesitzerfamilie stammende ehemalige
Hofopernsänger eines deutschen Hofes mit dem Namen von Rainer-Harbach
war zum Bezirkshauptmann in St. Veit an der Glan in Kärnten berufen worden,
obwohl dessen Hauptbeschäftigung – so der empörte Kielmansegg – nur in der
Organisation von Dilettantenvorstellungen in Klagenfurt bestand. Der dama-
lige Innenminister Giskra, der ihn ernannt hatte, dürfte von seinen mangelnden
Kapazitäten wohl unterrichtet gewesen sein.126 Auch der Großgrundbesitzer der
Bukowina, Eugen Freiherr von Styrcea, der im Landespräsidium von Czernowitz
Dienst tat, wurde zum Bezirkshauptmann von Suczawa (Suceava) ernannt, ob-
wohl er laut dem untadeligen Beamten Kielmansegg von einer geordneten Ver-
waltung wenig Ahnung hatte. Er nützte angeblich sein Amt, um sich als „Agent“
der rumänischen Partei zu betätigen und jede Entscheidung vom Standpunkt sei-
ner Partei abhängig zu machen.127
Ebendieser Faktor der Einflussnahme durch die (nationalen) Parteien im
Staatsdienst war neu. Er manifestierte sich massiv gegen die Jahrhundertwende –
verstärkt mit dem schon besprochenen Aufkommen der neuen Massenparteien.
Offiziell wurde in vielen Fällen der nationalen Vergabe von Beamtenstellen die
Sprachenfrage als Alibi benützt. Die möglichst umfassende Kenntnis der landes-
üblichen Sprachen war, wie oben erwähnt, eine Forderung, die auch Regierung
und Souverän erhoben hatten und die schwerlich zurückgewiesen werden konnte,
wie die bereits erwähnten Interventionen des Statthalters Goluchowski von Gali-
zien zeigen, der den Umstand, wie erinnerlich, weidlich ausnützte.128 Die Eingriffe
der neuen Massenparteien, gekoppelt mit den nationalen Bewegungen, knüpften
nahtlos an die ältere Form des Protektionismus durch Familie oder Verwandt-
schaft an.
Ob nationaler oder parteipolitischer Protektionismus vorherrschte, ist auf-
grund der vielfältigen Verquickungen selten zu unterscheiden. Im Allgemeinen
126 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 201.
127 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 201 f.; siehe auch URBANISTSCH, Vom
„Fürstendiener“ zum „politischen Beamten“, S. 159 f.
128 Siehe Kapitel „Nationale Illustrationen“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277