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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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generation des Ministerpräsidenten Max Wladimir Freiherr von Beck, von de-
nen vier – Anton als Direktor der Staatsdruckerei, Josef als Hofrat am Obersten
Gerichtshof, Martin als Gymnasiallehrer und Dominik als Oberst im Geniestab
– höheren Dienst für den Staat versahen, legt Zeugnis ab von den immer wie-
der auftauchenden finanziellen Sorgen der Beamtenfamilien.165 Selbstverständ-
lich gab es auch wohl bestallte Beamtenfamilien. Vater Carl Joseph Pratobevera
(1769–1853), bedeutender Rechtsgelehrter, Mitarbeiter am ABGB und Professor
an der Universität Wien, sowie sein Sohn Adolph (1806–1875), Rat am Obers-
ten Gerichtshof, Justizminister (1861), 1867 liberaler Reichsratsabgeordneter, die
mit ihren Familien im kulturellen Leben Wiens, vor allem im Musikleben, eine
bedeutende Rolle spielten, gehörten beispielsweise zu den gut situierten Beam-
ten: Ob das Vermögen aus dem Weinhandel des aus Norditalien eingewanderten
Großvaters oder von der Ehefrau Carl Josephs, die aus einer Industriellenfamilie
stammte, kam oder ob die Frau Adolphs, die Tochter des bekannten Gerichtsad-
vokaten Kaspar Wagner, Kapital in die Ehe brachte, wissen wir nicht.166
Trotz mancher Notsituationen habe es keine Korruption gegeben, berichten
Zeitgenossen, denen die Reputation des Staatsdienstes offensichtlich am Herzen
lag: Freundliches Entgegenkommen gegenüber Bürgern, so Friedländer, konnte
man, „um alles in der Welt nicht kaufen: der österreichische Beamte kennt keine
Korruption; es kommt ihm nicht einmal der Gedanke daran – er hält es gerade
für unglaublich, daß es das in irgendeinem zivilisierten Staat der Welt geben
könne. Und Jahrzehntelang hat es in Österreich bei Beamten keine Korruptions-
fälle gegeben. Eher vergreift sich ein Beamter, der in Not gerät, an staatlichem
Geld, als daß er sich kaufen läßt. Er hat in dieser Beziehung ein geradezu pedan-
tisches Gewissen und wittert auch geschickt verhüllte Versuche, ihm materielle
Vorteile zuzuwenden. Die stolze Genugtuung, mit der er solche Versuche ablehnt,
macht ihm mehr Freude als alles Geld.“167 Obwohl ein gewisses Maß an Ironie in
165 JOH. CHRISTOPH-ALLMA�ER-BECK, Vom Gastwirtssohn zum Ministermacher. Anton
Beck und seine Brüder (Wien/Köln/Weimar 2008). Siehe dazu Näheres im Kapitel „Der private
Alltag“.
166 Siehe Verlassenschaftsverhandlung Adolph Pratobevera Freiherr von Wiesborn, Verlassenschaften
B 6, Innere Stadt A IV. 1031/1875, Archiv der Stadt Wien, zur Familie siehe auch HEINDL,
Gehorsame Rebellen, S. 270 f. Zur kulturellen Rolle der Familie siehe unter anderen Publika-
tionen CLEMENS HÖSLINGER, Aus den Aufzeichnungen des Freiherrn von Pratobevera. In:
Schubertstudien. Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung. Festgabe der Öster-
reichischen Akademie der Wissenschaften zum Schubertjahr 1978, hg. von Franz Grasberger (=
Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 341, Wien 1978), S. 119–129.
167 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 72.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277