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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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baut, als Staatsbeamtenspital diente und von der „Oesterreichischen Gesellschaft
vom Goldenen Kreuz“ bis 1913/14 gefördert wurde, wie heute noch eine elegante
marmorne Tafel in der Eingangshalle verkündet. Bereits Anfang der 1870er-Jahre
war (ebenfalls durch einen Verein) im 9. Wiener Gemeindebezirk, Ecke Hörl-
gasse/Schlickplatz ein großes Mietshaus für Beamte, der sogenannte Rudolfshof,
benannt nach dem Thronfolger Erzherzog Rudolf, errichtet worden, um Sozial-
wohnungen für Beamte zu schaffen.191 Theophil Hansen, der Architekt, verzich-
tete auf sein Honorar, Spenden und günstige Darlehen boten die finanzielle Basis
für den Bau, der heute noch besteht. In erster Linie sollten Subaltern- und mitt-
lere Beamte bessere Familienwohnungen erhalten, tatsächlich gab es jedoch bei
der Vergabe (wie immer) Bevorzugungen – höherer – Ränge.
Freilich wurde ein Beamter von seinem Salär allein – ohne Erbe oder Mit-
gift der Ehefrau – nicht reich. Für das Selbstbewusstsein eines „echten“ Beamten
spielte dieser Mangel aber angeblich keine Rolle: „Und wenn man als Beamter
arm ist, muß man sich nicht genieren, denn Armut ist für den Beamten nur eh-
renvoll“, meinte Otto Friedländer ironisch.192 Robert Ehrhart geht angesichts der
enormen Gewinne und Verdienste in der Gründerzeit auf das Verhältnis der Be-
amten zu Geld und Gut intensiver ein: „Die Besitzer ererbten großen Grundbesit-
zes beneidete er zwar nicht; denn ihnen gleich zu werden, lag allzu weit außerhalb
des Kreises seiner Aspirationen, aber er erkannte sie achtungsvoll an als staatlichen
Machtfaktor und damit als Teilhaber an jener Autorität, von der ein Bruchteil
auf ihn selbst fiel. Der Geldmillionär sagte ihm nicht viel, ja er fühlte sich ihm in
gewissem Sinn überlegen. Er brauchte nicht zu ihm zu gehen, falls er keine Lust
hatte, der andere aber musste bei ihm vorsprechen, wenn er etwas wollte. Gegen
Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als die städtischen Vermögen in die Halme
schossen, erwachte in der höheren und höchsten Bürokratie lebhaftes Interesse in
dieser Richtung, aber nicht so sehr am Reichtum selbst als an den Menschen, die
ihn zu schaffen wußten. Man bestaunte sie um einer Fähigkeit willen, die man
sich selbst niemals aneignen zu können glaubte.“193 Das Bewusstsein, zur absolu-
ten „Herrenklasse“ zu gehören, überwog allenfalls auftretende Minderwertigkeits-
komplexe.194
191 MEGNER, Beamte, S. 194 f., Bauplan und Fassade Abb. 5a und 5b; MEGNER, Beamtenmetro-
pole Wien, S. 498.
192 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 74.
193 EHRHART, Im Dienste, S. 292.
194 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 74 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277