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8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst
wären auch die ersten qualifizierten Frauen zur Verfügung gestanden, doch das Ju-
ristenmonopol im öffentlichen Dienst und die Tatsache, dass das Jusstudium für
Frauen erst 1919 frei zugänglich werden sollte, bildeten weiterhin ein Hindernis.199
Außerdem gab es eine Vielzahl von geschlechterideologischen, „wissenschaftlich“
verbrämten Gründen sozialdarwinistischer Natur, um den Ausschluss der Frauen
vom höheren Staatsdienst zu begründen.200 Außer den Sozialberufen der Ärztin
– und auch für diesen war es für Frauen schwierig genug, an Krankenhäusern
einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden201 – und der Lehrerin an Schulen,
Arbeitsfelder, die man als verlängerte Mutterrolle sah, waren Frauen daher auf
niedere Dienste im Staat verwiesen.
Der gravierende Unterschied zwischen Männern und Frauen bestand im An-
stellungsverhältnis. Frauen erhielten nur privatrechtliche Verträge und waren –
wie im Übrigen die „Diurnisten“, eine Art von Hilfsbeamtinnen – sozial aber we-
niger abgesichert als beamtete Männer, obwohl sie unter Umständen die gleiche
Tätigkeit versahen. Sie hatten nur eine Kündigungsfrist von einem Monat, bezo-
gen bei Kündigung eine sechsmonatige Weiterzahlung, sie hatten keine Befreiung
von den erwähnten Zuschlägen und kein Heimatrecht ex officio am Dienstort.202
Es gab keine Definitivstellung und keine Pensionsversorgung. Definitiv angestellt
und mit einer dementsprechenden Altersversorgung ausgestattet waren um 1900
nur die weiblichen Post- und Telegrafenbediensteten und die Postmeisterinnen.
Die bei den Staatsbahnen beschäftigten Frauen genossen eine Kranken- und Al-
tersversorgung, immerhin soziale Absicherungen, die in dieser Zeit nicht selbst-
verständlich waren.
Ein weites Feld der Geschlechterdifferenzen tat sich auf dem Gebiet der Ent-
lohnung auf. In fast allen Sparten waren die weiblichen Angestellten im Staats-
dienst schlechter bezahlt als Männer, nur der statistische Dienst, wo Männer und
Frauen die gleiche Besoldung erhielten, stellte eine rühmliche Ausnahme dar.
199 Zum Folgenden WALTRAUD HEINDL, Zur Entwicklung des Frauenstudiums in Österreich.
In: „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück …“. Frauen an der Universität Wien (ab 1897),
hg. von Waltraud Heindl, Marina Tichy (= Schriftenreihe des Universitätsarchivs Universität
Wien 5, Wien 21993), S. 17–26.
200 Bezüglich der Medizinerinnen siehe MARINA TICH�, Die geschlechtliche Unordnung.
Facetten des Widerstands gegen das Frauenstudium von 1870 bis zur Jahrhundertwende. In:
HEINDL, TICH�, „Durch Erkenntnis …“, S. 27–48.
201 INGRID ARIAS, Die ersten Ärztinnen in Wien. Ärztliche Karrieren von Frauen zwischen 1900
und 1938. In: Töchter des Hippokrates. 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich, hg. von
Birgit Bolognese-Leuchtenmüller und Sonia Horn (Wien 2000), S. 61 ff.
202 Siehe Kapitel „Ökonomische und soziale Verhältnisse“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277