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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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„Freie Lehrerstimme“ sowie die „Österreichische Lehrerinnen-Zeitung“ richteten.
Klassenkämpferische, ja geradezu feministische Töne schlug die 1909 gegrün-
dete Zeitschrift „Die Postanstaltsbeamtin“ an, in der bereits in der ersten Num-
mer dezidiert um die Mitbestimmung in der Postorganisation gekämpft wurde.
Die Postbeamtinnen machten unverhohlen in erster Linie den Kapitalismus für
die Frauenarbeit verantwortlich, den es daher auch von den Beamten, so meinten
sie, zu bekämpfen gelte: „Die meisten unserer Beamtenfamilien, sie können, sie
wollen es nicht einsehen, dass sie Arbeiter, dass sie Proletarier sind, welche ge-
zwungen sind, ihre Arbeitskraft dem Moloch um einen schnöden, kargen Lohn
zu verkaufen, oft um einen bedeutend geringeren Lohn als der bereits modern
gewerkschaftlich organisierte manuelle Arbeiter. Ein Eigendünkel, der in diesen
Beamtenseelen lebt […].“212 Die Zeiten zwischen 1870 und der Jahrhundertwende
hatten sich geändert. Seit 1907 waren die Sozialdemokraten im Reichsrat vertre-
ten, die auch Frauen im Staatsdienst in den Bann zogen.
Der erwähnten Studie von Hans Nawiasky verdanken wir auch die gängigen
Ansichten der männlichen Staatsbediensteten über ihre ungewohnten, meist nicht
sehr willkommenen Kolleginnen: Entweder galten sie als „verklemmt“ oder sie
wurden als „Lustobjekt“ gesehen, das heißt, dass eine allgemeine Ablehnung die-
ser Frauen durch ihre männlichen Kollegen üblich war, 213 vor allem vonseiten
der ohnehin schlecht bezahlten Diurnisten, die gegen die noch schlechter bezahl-
ten Konkurrentinnen in klischeehafter Weise polemisierten und sie als „höhere“
(Beamten-)Töchter bezeichneten, die ihre wahre Bestimmung, nämlich Ehe und
Kinder, verkannten, die guten Beziehungen des „Herrn Beamtenpapa“ ausnütz-
ten, um in die Berufe der Diurnisten einzudringen.214 Nawiasky fällte freilich
auch kein allzu schmeichelhaftes Urteil,215 wenn er meint, Kraft und Ausdauer der
Frauen seien gering, bei Anstrengungen versagten sie, die Alterungsperiode träte
früher ein als bei Männern, sie wären oft krank (fehlten allerdings nicht häufiger
als Männer). Positiv vermerkt er ,,große Pflichttreue, Geschicklichkeit, Fingerfer-
tigkeit und Leistungsfähigkeit“. Es mangle ihnen aber an Ruhe und Entschieden-
heit bei der Arbeit, an einer schleunigen Erledigung sowie an scharfer Aufmerk-
samkeit und rascher Auffassung, was Nawiasky gerechterweise auf ihre mangelnde
212 DIE POSTANSTALTSBEAMTIN. Unabhängiges Organ der zentralorganisiserten Postmeister-
innen, Expedientinnen, Offiziantinnen und Aspiratinnen Oesterreichs, Jg. 1/Nr. 1, S. 1.
213 NAWIASK�, Frauen im Staatsdienst, S. 225.
214 G. KLEMENS, Ein Wort zur Hilfsbeamtenfrage (Wien 1901) , S. 10, bei MEGNER, Beamte, S.
312.
215 NAWIASK�, Frauen im Staatsdienst, S. 225 ff.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277