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Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
Seite - 156 -
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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 156 vollzog. Es scheint signifikant, dass nach 1848 das Unterrichtsressort von Leo Graf Thun-Hohenstein, einem Aristokraten mit Feudalbesitz, der über ein breites Wis- sen an kulturellen und wissenschaftlichen Inhalten verfügte und ein weltgewand- ter Kosmopolit war, geleitet wurde. Ab den 1860er-Jahren waren die Fachleute, Beamte und Wissenschaftler, als Leiter am Werk: Ihre Berufslaufbahnen, die Van Heerde unter die Lupe nahm, zeigen, dass von 16 Unterrichtsministern 13 Beam- tenminister waren und 9 davon direkt aus dem Ministerium kamen.225 Manche versahen in den Sparten Universität und Ministerium Dienst. Ein Beispiel ist Mi- nister Wilhelm August Hartel, Altphilologe an der Universität Wien, später Lei- ter der kaiserlichen Hofbibliothek und Sektionschef im Unterrichtsministerium, 1900 bis 1905 Unterrichtsminister. (Von ihm wird noch die Rede sein.) Ein schönes Beispiel für die These, dass Einfluss auch von jungen Konzeptbe- amten genommen wurde, liefert uns Robert Ehrhart, der die Behandlung eines Majestätsgesuchs im Unterrichtsministerium schildert. Majestätsgesuche, die di- rekt an den Souverän zu richten waren, pflegten – so wollte es die Amtstradition – von der Kabinettskanzlei an den zuständigen Bearbeiter des jeweiligen Minis- teriums „herab zu kommen“. Es gab für die Geschäftsbehandlung drei Möglich- keiten: Entweder waren die Majestätsgesuche versehen mit der „großen Signatur“ (einem vom Kaiser eigenhändig unterzeichneten F. J.) oder mit der kleinen (mit der Zeichnung eines Beamten „ab imperatore“) oder ohne jeden Vermerk. Im ersten Fall hatte das Ministerium unter allen Umständen zu recherchieren und einen Vortrag an den Kaiser über den Fall zu erstatten, im zweiten war die Erledi- gung dem Ermessen des Ministeriums anheimgestellt, im dritten war das Gesuch so zu behandeln, als wäre es nicht an die „Allerhöchste Person“, sondern an die zuständige Verwaltungsstelle gerichtet worden. Der zuständige Beamte hatte so, selbst wenn er jung und in der Hierarchie unbedeutend war, Einfluss auf Ent- scheidungen, die der kaiserlichen Gnade vorbehalten waren, da er als Referent den Vortrag an den „Allerhöchsten Herrn“ vorbereitete. Erst recht nahmen die Büro- kraten Einfluss im zweiten und dritten Fall, in denen die Beamten des jeweiligen Ministeriums die Gesuche nach eigenem Ermessen entscheiden durften. Ehrhart erinnert sich in seiner Autobiografie an den Fall eines Majestätsgesuchs der Gattin eines ehemaligen Lehrers namens Ratz aus Klagenfurt um die Gewährung einer Pension für den Ehemann, das ohne Vermerk an das Ministerium gekommen war. Die normalen Voraussetzungen für eine Pensionsgewährung lagen offenbar nicht vor, der Mann war alt und krank, die missliche wirtschaftliche Lage des Ehepaares 225 Van HEERDE, Staat und Kunst, S. 68–93.
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Josephinische Mandarine Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Josephinische Mandarine
Untertitel
Bürokratie und Beamte in Österreich
Autor
Waltraud Heindl
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78950-5
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
336
Schlagwörter
Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
    1. 1. Theoretische Überlegungen 17
    2. 2. Die zwei Realitäten der Bürokratie 24
    3. 3. Definitionen, Details und Daten 26
  3. II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
  4. III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
    1. 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
    2. 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
    3. 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
    4. 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
    5. 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
  5. IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
    1. 1. Wandel der politischen Strukturen 85
    2. 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
    3. 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
    4. 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
    5. 5. Nationale Illustrationen 106
    6. 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
    7. 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
    8. 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
    9. 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
    10. 10. Generationenkonflikte um 1900 160
  6. V. Das soziale Umfeld 165
    1. 1. Beamte und bürgerliche Gesellschaft 165
    2. 2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede 168
      1. Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung 170
      2. Äußere Zeichen – Für und Wider die Beamtenuniform 177
      3. Umgangsformen im Amt 180
      4. Arbeitszeit und Amtsräume 184
      5. Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten 187
    3. 3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzleisprache und die Architektur der Amtsgebäude 190
    4. 4. Der private Alltag – das symbolische Kapital 198
      1. Amtsroutine im Privatleben? 198
      2. Bürgerlicher Lebensstandard?
      3. Die Grundbedürfnisse Essen und Wohnen 200
      4. Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit 209
      5. Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke 221
      6. Freizeitgestaltung als Netzwerkbildung 229
  7. VI. Inszenierungen 235
    1. 1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder 235
    2. 2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse 244
  8. VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
    1. 1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten? 253
    2. 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler – ungewöhnliche josephinische Beamte? 260
    3. 3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski 267
  9. VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277
    1. Anhang 285
    2. Bildnachweis 285
    3. Abkürzungsverzeichnis 286
      1. I. Die Verwaltung und Organisation des österreichischen Kaiserstaates 287
      2. II. Entwicklung der Gehälter der höheren Beamten nach den Gehaltsreformen 288
    4. Quellen-und Literaturverzeichnis 290
    5. Archivalische Quellen 290
    6. Gedruckte Quellen 291
    7. Autobiografische Schriften 295
    8. Ausgewählte Roman- und Dramenliteratur 298
    9. Sekundärliteratur 299
    10. Sachregister 313
    11. Namenregister 317
    12. Ortsamenregister 321
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