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10. Generationenkonflikte um 1900
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mächtige Verstärkung der zentralistischen Verwaltung und der Bürokratie darge-
stellt. Die Reform blieb ein Wunsch, das Ministerium Koerber musste bald nach
der Präsentation im Parlament zurücktreten. Die Lösung der „Doppelverwaltung“
wäre selbst nach der Meinung des erbitterten Gegners Koerbers, Kielmanseggs,
(ähnlich wie heute) nur über den Weg der Verfassung lösbar gewesen,249 und diese
hatte keine Chance auf Verwirklichung. Die Frage der Selbstverwaltung war von
einiger nationaler Brisanz, für die sich freilich die hohe Bürokratie, die auf Zen-
tralismus ausgerichtet war – von ihrem Standpunkt aus mit einigem Recht –,
nicht erwärmen konnte. Es handelte sich um einen nicht enden wollenden Streit
in der Verwaltungsdebatte.
Die Diskussion um die Qualität von Bürokratie und Beamten war erneut in
Gang gekommen. Verwaltungsfachleute meldeten sich zu Wort: Sie bedauerten
den Mangel an Qualität sowie Objektivität in nationaler und parteipolitischer
Hinsicht sowie den unheiligen Protektionismus mitsamt seinen gefährlichen
Folgen der Beamtenvermehrung und erträumten im Übrigen vom Erlass einer
Dienstpragmatik mit der grundsätzlichen Festlegung aller Pflichten und Rechte
der Beamten die Verbesserung aller bösen Zustände.250 Wie wir wissen, sollte die
alte Beamtensehnsucht vor dem Ersten Weltkrieg noch erfüllt werden. Die heftige
öffentliche Diskussion, für die vor allem die Zeitschrift „Österreichische Rund-
schau“ das intellektuelle Forum bot, forderte die Behörden heraus, sich intensiver
mit der Frage der Verwaltungsreform zu befassen.
Josef Redlich, der prominente Verwaltungsfachmann und liberale Abgeordnete
zum Reichsrat, beschäftigte sich bereits seit 1906 intensiv mit Fragen der Verwal-
tungsreform in Österreich. Doch es dauerte! Erst 1911 kam unter dem Vorsitz Red-
lichs endlich eine Kommission zur Förderung der Verwaltungsreform zustande,
die an einer umfassenden Reform der Autonomie der Länder- und Gemeinde-
verwaltung, an einer Modernisierung der Ministerien sowie an der Regelung der
Pflichten und Rechte der Bürokratie arbeitete. Das kritische Bewusstsein der
neuen Beamtengeneration, die für Neuerungen offen war, hatte wohl die Bildung
der Kommission – direkt oder indirekt – beeinflusst und ihre Tätigkeiten voran-
249 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 294 f.
250 Vgl. zum Beispiel: ANKWICZ, Die europäische Beamtenfrage, S. 85–93; Johann ANKWICZ,
Neue Gesichtspunkte in der staatlichen inneren Verwaltung. In: Österreichische Rundschau
15 (1908), S. 235–244; Johann ANKWICZ, Die Beamtenbewegung und der Entwurf einer
Dienstpragmatik in Frankreich. In: Österreichische Rundschau 27 (1910), S. 345–348; BROCK-
HAUSEN, Beamtentum und Protektion, S. 261–268; F. OPPENHEIMER, Das Parlament des
allgemeinen Wahlrechts und die Verwaltung. In: Österreichische Rundschau 14 (1908), S. 1–9.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277