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2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede
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Wladimir Beck (1854–1943, Ministerpräsident 1905–1908).269 Becks Großvater
war Gastwirt in einem südmährischen Dorf. Von zehn Kindern erreichten sechs
Söhne und eine Tochter das Erwachsenenalter. Von den Söhnen wurde einer
Priester, einer Offizier im Geniestab, einer wurde Gymnasiallehrer und zwei traten
nach abgeschlossenem Jurastudium, das sie als Hauslehrer und mit anderen Jobs
verdienten, in den Staatsdienst ein und machten eine beachtliche Karriere: Josef
(1815–1848) brachte es bis zum Hofrat am Obersten Gerichtshof, Anton (1812–
1895), der Vater von Max Wladimir, bis zum Direktor des Staatsdruckerei, der
als Ratgeber politischer Persönlichkeiten über einen gewichtigen politischen Ein-
fluss – er wurde „Ministermacher“ genannt – verfügte. Auch Sohn Max Vladimir
wurde Jurist und trat in den Staatsdienst. Er wurde schließlich Ministerpräsident.
Für die Karriere im Konzept war ein gewisses Muster vorgesehen. Noch waren
bis in die Spätzeit der Monarchie eine Vielzahl von Orts- und Dienststellenwech-
seln vorgesehen, von denen uns die Beamtenmemoiren erzählen.270 Zum einen lag
es, wie bereits gesagt, im Interesse der Autoritäten, die Bürokraten mit möglichst
vielen Regionen, Bevölkerungsgruppen und Ämtern bekannt zu machen, ande-
rerseits diente der Ortswechsel den Beamten selbst; sie konnten um Versetzung
ansuchen, um durch eine frei gewordene Stelle einen Aufstieg in der Beamtenkar-
riere und eine finanzielle Verbesserung zu erreichen. Auch die Möglichkeit eines
Besuchs einer bestimmten Schule für die Kinder oder verwandtschaftliche Bezie-
hungen der Familie waren des Öfteren ein Motiv für einen Orts- und Behörden-
wechsel. Jedenfalls hatte man sich „hinaufzudienen“.
Ernst von Plener (1841–1923), Sohn des Finanzbeamten und späteren Ministers
Ignaz von Plener (seit 1907 Freiherr von, 1810 bis 1908), erzählt uns in seinen Me-
moiren über seine abwechslungsreiche Kindheit, die er der Karriereleiter seines
Vaters zu verdanken hatte. Von Eger in Böhmen, wo Ignaz Plener als Kameral-
rat diente, ging es 1848 nach Prag, von dort nach Ofen, wo Vater Plener 1851 in
der Zeit des Neoabsolutismus die österreichische Finanzverwaltung einzuführen
hatte. Schon drei Jahre später, 1854, blühte dem Beamten Ignaz Plener und sei-
nem jungen Sohn die Übersiedlung nach Pressburg (Pozsony, Bratislava), weil
Ignaz Plener der Posten eines Finanzlandesdirektors beschieden war und wieder
269 ALLMA�ER-BECK, Vom Gastwirtssohn; zu Ministerpräsident Beck: JOHANN CHRIS-
TOPH ALLMA�ER-BECK, Ministerpräsident Baron Beck. Ein Staatsmann des alten Öster-
reich (Wien 1956).
270 Zum Beispiel die Erinnerungen von tschechischen Staatsdienern bei VOŠALIKOVA, Von Amts
wegen, S. 19, 302 f., 306; KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 9–11, dazu auch
Kapitel „Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277