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V. Das soziale Umfeld
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drei Jahre später nach Lemberg (L’vov, L’viv), zwei Jahre später nach Wien: Vater
Ignaz wurde in den Reichsrat berufen und sollte als Politiker und Finanzminis-
ter (1860–1865) sowie als Handelsminister (1867–1870) Karriere machen.271 Selbst
dem hannoveranischen Aristokraten und hoch geachteten Beamten Erich Graf
Kielmansegg war, wie berichtet, dieses Los – wie allen anderen weniger „Hochge-
borenen“ – beschieden.272 Die Vielfalt des öffentlichen Dienstes, den ein Beamter
kennenzulernen hatte, wurde eintöniger, als im späten 19. Jahrhundert der Usus
nicht mehr durchgehend eingehalten wurde, die Beamten quer durch die Behör-
den und die Provinzen der Monarchie zu schicken. Aber darüber wurde bereits
berichtet.
Was die Rekrutierung betraf, galten (inoffiziell) als erste Empfehlung für eine
Anstellung im Staatsdienst Familienbeziehungen: Auch sie hatte in der Mon-
archie eine lange Tradition. An anderer Stelle wurden die Familien Pratobevera
sowie Greiner/Pichler genannt.273 Für junge Akademiker, die aus Beamtenfami-
lien stammten, war es nach wie vor durch die Verwandtschaft leichter, ein ent-
sprechendes Amt im Staatsdienst zu erwerben. Im Jahr 1857 kam mehr als ein
Drittel (35 %) der Beamten in Wien aus Beamtenfamilien.274 Selbstverständlich
entstanden diese Möglichkeiten durch den Vorsprung an Informationen und gu-
ten Beziehungen, die manchmal bereits seit Generationen gepflegt, zumindest
aber durch den Vater aufgebaut worden waren. Vom heutigen Standpunkt wird
dieses (Un-)Wesen wohl mit gutem Gewissen mit den Begriffen Protektion und
Nepotismus belegt. In der patriarchalen Gesellschaft wurde die Entscheidung
eines Sohnes, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, als positiver Schritt emp-
funden und kräftig gefördert. Als ein Exempel aus der Jahrhundertmitte können
die Familien Salzgeber, Russegger und Ottenfeld gelten.275 Peter (seit 1853 Freiherr
von) Salzgeber (1789–1858), hochverdient in der Landesvermessung und in der
271 PLENER, Erinnerungen 1, S. 1–9.
272 Zur Karriere Kielmanseggs und zum Folgenden bereits Kapitel „Traditionelle Karrieremuster
gegen politischen Protektionismus“.
273 Siehe HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 270 f., und WALTRAUD HEINDL, Caroline Pichler
oder der bürgerliche Fortschritt. Lebensideale und Lebensrealität von österreichischen Beam-
tenfrauen. In: Von Bürgern und ihren Frauen, hg. von Margret Friedrich und Peter Urbanitsch
(= Bürgertum in der Habsburgermonarchie V, Wien/Köln/Weimar 1996), S. 197 f.
274 WERNER M. SCHWARZ, WALTRAUD ZIRNGAST, Angestellt in Wien. Ein Beitrag zur
Sozialgeschichte Wiens im 19. Jahrhundert auf der Grundlage der Konskription im Jahr 1857. In:
Wiener Geschichtsblätter 49 (1994), Tabelle 3, 14 und 15.
275 Geschichte der Familie Blühdorn, Manus, S. 6 –12 und 17 f., PA BLECHNER; auch HEINDL,
Zum cisleithanischen Beamtentum, S. 1205 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277