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V. Das soziale Umfeld
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mitglieder anderer Kollegen diese gefördert hätten, wie er spitz, aber vermutlich
wahrheitsgemäß hinzufügte.278 Auch der Junggeselle Ehrhart stammte väterlicher-
und mütterlicherseits aus Beamtenfamilien mit Wurzeln in der Vergangenheit (so
stammte zum Beispiel seine Großmutter aus der Familie Hormayr) – obwohl er
die Möglichkeit eines positiven familiären Einflusses auf seine Karriere vollkom-
men in Abrede stellte.279 Dass Heiraten und Verschwägerungen unter Beamtenfa-
milien übliche Sitte waren, die auch in der sogenannten Provinz sorgsam gepflegt
wurden und die verschiedensten Länder mit dem Zentrum Wien familiär verban-
den, zeigen Memoiren aus dem Kronland Böhmen, zum Beispiel die verwandt-
schaftlichen Beziehungen der Familien Matiegka und Markov-Jeřábkov.280 Famili-
enbeziehungen schufen eine besondere Art der sozialen Distinktion.
„Gut-bürgerliche“ Herkunft und der entsprechende Lebensstil waren jedenfalls
in der Regel die unabdingbare Voraussetzung für eheliche Verbindungen der hö-
heren Beamten. Es liegt auf der Hand, dass sich tradierte Formen des Umgangs,
der Lebensstile, etwa der Erziehung der Kinder, der Gestaltung der Wohnungen,
der Einladungen, der kulturellen Gewohnheiten fortsetzten oder in einer recht
sanften unauffälligen Weise abgeändert oder erneuert wurden, weil die bürger-
lichen Beamtenfamilien den Konventionen in besonderer Weise verbunden wa-
ren. Es scheint mir nicht übertrieben, die Liebe zu Konventionen und Traditionen
als besonderes Merkmal der Beamtenmentalität, als zum Beamtenhabitus gehörig
zu bezeichnen (wovon später noch die Rede sein wird).
Die „gute“ Familie bedeutete symbolisches Kapital für gesellschaftliche Bezie-
hungen und für eine flotte Karriere. Dagegen scheint ein Adelsrang in Beamten-
familien sicher ein gern gesehener Aufputz (von dem später noch die Rede sein
wird), doch entscheidend hauptsächlich für den diplomatischen Dienst gewesen
zu sein. Die Praxis der Ernennungen lief auf Selbstrekrutierung hinaus, aus der
sich seit dem 18. Jahrhundert Beamtendynastien sowohl in Wien als auch in den
Kronländern gebildet hatten, die untereinander und mit der übrigen „guten“ Ge-
sellschaft wohl bekannt waren.281
In der zu Ende gehenden Monarchie meldeten sich Reformwillige, die den Be-
amtenkörper einer kritischen Beurteilung unterzogen und zum Schluss kamen, er
sei ein „eigener Mikrokosmos“ inmitten der übrigen Gesellschaft, eine abgeschlos-
278 KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 12 und 16.
279 EHRHART, Im Dienste, S. 62–65, 100 und 360.
280 In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 293 und 333.
281 Siehe Kapitel „Die ,gut-bürgerliche‘ Gesellschaft“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277