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V. Das soziale Umfeld
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– wie es scheint – gelungene Symbiose eingegangen. Es gab auch Karrieren, die
umgekehrt verliefen. Der Arzt, Stadtphysikus und „Gesundheitsbeamte“ in Prag
Jindřich Matiegka wechselte von diesen Ämtern an die Technische Universität
Prag, wo er an der philosophischen Fakultät Professor der Historischen Anthro-
pologie wurde.284 Trotz der erwähnten Klagen, trotz mancherlei Spott, der über
Beamte ausgeschüttet wurde, so schlecht oder lächerlich kann das Prestige des
Staatsdienstes in der Gesellschaft nicht gewesen sein!
Seit den 1880er-Jahren drohte bezüglich der Rekrutierung anstelle der Famili-
enbeziehungen, wie bereits beschrieben, eine noch viel gefährlichere Protektion.285
Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal in Erinnerung gebracht: Kaum wa-
ren die nationalen Bewegungen und die Massenparteien etabliert, bemächtigten
sich diese so mancher Beamtenstellen, die sie an Parteigänger vergeben konnten.
Der bereits erwähnte Statthalter von Niederösterreich Erich Graf Kielmansegg
berichtete voll des Entsetzens von den unheiligen Allianzen, die Politik und Be-
amtentum unter der Ministerratspräsidentschaft Ernest von Koerber eingingen,
der selbst aus der hohen Beamtenschaft hervorgegangen war. Er war erster Sekti-
onschef im Ministerium des Inneren gewesen, bevor er zum Ministerpräsidenten
ernannt wurde. Angeblich sei – Kielmansegg zufolge, der allerdings ein scharfer
(und vielleicht nicht gerechter) Kritiker Koerbers war – die Einberufung von Be-
amten in die Ministerien nur mehr über das Begehren von Abgeordneten durch
den persönlichen Befehl des Ministerpräsidenten erfolgt.286 Selbst an der Karri-
ere von Rudolf Sieghart, Sohn eines Kantors in Troppau (Opava), der ausgehend
von der Finanzprokuratur eine rasante Beamtenkarriere machte, die von anderen,
beispielsweise von Robert Ehrhart, geradezu als positives Beispiel hervorgehoben
wurde, da er eben als Sohn eines Kantors keinerlei Familienprotektion haben
konnte, ließ Kielmansegg kein gutes Haar.287
tischen Tagebuchs. Die südslawische Frage und Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg, hg.
und eingeleitet von Professor Josef Redlich (Berlin 1925), S. 20–25; zu Hartel und Hussarek
EHRHART, Im Dienste, S. 114 und 126; zu �wikliński URBANITSCH, The High Civil Ser-
vice Corps, S. 201; vgl auch FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 67; auch
KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 26 und Kapitel „Typisch ,josephinische‘
Beamteneliten“.
284 VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 293 und 330.
285 Siehe Kapitel „Traditionelle Karrieremuster gegen parteipolitischen Protektionismus“.
286 KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 291, 295 f. und 298.
287 EHRHART, Im Dienste, S. 134; KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 51 ff., 76
ff., 159–163, 315 f. und 414 f.; ALFRED ABLEITINGER, Rudolf Sieghart (1866–1933) und
seine Tätigkeit im Ministerratspräsidium. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichischen
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277