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2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede
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zweites Frühstück unterbrach.312 Auch Hofrat Friedrich Mayer, so berichtet uns
sein Sohn, der spätere Advokat Dr. Max Mayer, aus den 1860er-/70er-Jahren über
seinen Vater, kam um 14:30 Uhr von seinem Amt in der Inneren Stadt in Wien
auf die Wieden nach Hause.313
Die lockere Einstellung zu einer flexiblen Arbeitszeit dürfte sich bis zum Ende
der Monarchie nicht geändert haben. Friedrich Kleinwaechter erzählt von seiner
Zeit im Finanzministerium, dass er von 9 bis 15 Uhr gearbeitet habe.314 Allerdings
wurden die Arbeitsstunden unbegrenzt ausgedehnt, wenn der Arbeitsanfall größer
war315 oder wenn, wie bei Grillparzer ungefähr 80 Jahre früher, der Chef unübli-
che Arbeitszeiten einhielt, etwa die Vormittage nicht im Amt, dafür die Abende
arbeitend im Finanzministerium verbrachte.316 Die untergebenen Beamten hatten
in diesem Fall mitzuhalten und abends wieder im Amt zu erscheinen. In der Prä-
sidialsektion war die Arbeitszeit des Ministers maßgeblich, was für die Beamten
bedeutete, dass ihre Anwesenheit abwechselnd auch abends und mitunter auch bis
nach Mitternacht erwünscht war. Sonntag war dienstfrei. Der Finanzbezirksdi-
rektor Hofrat von Rauscher dürfte freilich eine Ausnahme repräsentiert haben: Er
verlangte, dass „jeder ehrenhafte Beamte“ auch am Sonntag im Amt zu erscheinen
habe. Alexander Spitzmüller, der Rauschers blutjunger Untergebener und Anfän-
ger im Staatsdienst war, deutete an, dass sein Behördenleiter als Jude offensichtlich
zum Sonntag keine Beziehung hatte.317
Selbstverständlich richteten sich auch die Amtsräume nach dem Rang. Als
wirklich luxuriös wurden die Amtsräume der Minister geschildert, jene des
Finanzministers im Winterpalais des Prinzen Eugen in der Himmelpfortgasse ge-
hörten zu den prachtvollsten Büros. Schon der Wartesaal vor dem eigentlichen
Arbeitszimmer des Ministers war ehrfurchtsgebietend: „Schwere rote Seiden-
portieren dämpften das Licht. Wunderbare Supraporten über den Türen, deren
Schlösser die Initialen und die Herzogskrone des Prinzen Eugen in Goldbronze
zierten. Ein roter, den ganzen Raum bedeckender Teppich verschluckte jeden
312 „Aus meinem Tagebuch“, HHStA, Nachlass Höfken, Karton 2; siehe auch HEINDL, Gehor-
same Rebellen, S. 250.
313 MAX FREIHERR von MA�R, Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 114, PA HENCKEL-
DONNERSMARCK.
314 Zum Folgenden KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 97 und 125.
315 Siehe z. B. LUDMILA MATIEGOVÁ in ihren Erinnerungen über ihren Vater, einen beamteten
Arzt. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 331.
316 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 251.
317 ALEXANDER SPITZMÜLLER-HARMERSBACH, „… und hat auch Ursach’ es zu lieben
(Wien 1955), S. 27.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277