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V. Das soziale Umfeld
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Auch die teilweise von der öffentlichen Hand, teilweise (halb)privat errichteten
Schulen, wie die Handelsakademie der Wiener Kaufmannschaft und die Evan-
gelische Schule (am Wiener Karlsplatz), schlossen sich offensichtlich dem Baustil
an. Sie zeichnen sich durch Einfachheit, durch breite Tore und Einfahrten und
durch große Fenster aus. Diese ließen die Helligkeit des Tageslichts in die Räum-
lichkeiten und sparten so mit künstlichem Licht. Auch die anderen Amtsgebäude
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie ehemalige Statthaltereigebäude (etwa
in Budapest), zahlreiche Bezirkshauptmannschaften bzw. Bezirksgerichte etc. sind
davon geprägt.
Die ärarischen Bauten wurden nach der Jahrhundertwende augenscheinlich
zahlreicher: Sie wurden durch die Bevölkerungsvermehrung, die Ausdehnung
der Verwaltung sowie durch die Verlängerung der allgemeinen Unterrichts-
pflicht durch das Reichsvolksschulgesetz von 1869 notwendig. Auch für diese war
Schlichtheit das Motto für ihre Planung. Die Amtsgebäude nach 1900, von denen
heute noch eine beträchtliche Anzahl in allen Teilen der ehemaligen Monarchie
erhalten ist, beweisen, dass man, wie früher schon erwähnt,341 der Moderne Rech-
nung trug, gleichzeitig aber den früheren ärarischen Stil in einem zeitgemäßen
Gewand fortsetzte. Die Entscheidung für den damals als radikal modern emp-
fundenen Stil, den man unter den anderen damals gleichzeitig praktizierten Stilen
(zum Beispiel Heimatstil, Historismus, Jugendstil etc.) wählte, dürfte der Regie-
rung nicht schwergefallen sein. Die Einfachheit kam nicht nur ihrem Spargeist
entgegen. Auffällig ist die Ähnlichkeit der Gebäude, um die man offensichtlich
bemüht war. Mit dem Vorteil der leichter durchzuführenden Einheitlichkeit,
die der einfache, sachliche Stil bot, ging man sicher auch vielen Diskussionen –
eventuell nationaler Natur, die etwa der Heimatstil, aber auch der Historismus
implizierte – aus dem Weg. Man wusste um die Bedeutung, die Amtsgebäude
ausstrahlen können. Wie wenn man die Vielsprachigkeit und den Mangel einer
Staatssprache durch eine einheitliche Architektursprache ersetzen wollte! Man er-
kannte jedenfalls, dass öffentliche Gebäude nicht nur Nutzbauten sind, sondern
zugleich als Symbole des Staates Autorität signalisierten. Der Stil der Amtsge-
bäude sollte die Einheit des Reiches und aller Staatsbürger gleich welcher Nation
sowie die Macht des Staates verkörpern und patriotische Gefühle in den Staats-
bürgern erwecken, ein Faktum, das in den Schulbüchern nach der Jahrhundert-
wende als Wohltat des Kaisers ausgiebig gerühmt wurde, wie Van Heerde am
Beispiel der Schulgebäude hervorhebt: „Die Schulhäuser sind heute große, helle
341 Siehe Kapitel „Macht und Ohnmacht“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277