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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
sprechende Wohnung mit dem dazugehörigen Mobiliar vorhanden zu sein, die
es oft, vor allem bei jungen Beamten, nicht gab. Dieser Missstand brachte es mit
sich, dass mitunter nur die Männer – aus Gründen der Karriere – in Gesellschaft
gingen und ihre Ehefrauen zu Hause ließen, um nicht in die Verlegenheit zu kom-
men, „Gegeneinladungen“ inszenieren zu müssen, da ihr Zuhause nicht dafür
geeignet war.429 Das zumindest behauptet Friedländer und er berichtet: „Vom Be-
amten verlangt auch niemand eine Repräsentation. Den jungen Beamten stehen
zwar alle Türen offen, und sie bekommen mehr Einladungen, als sie annehmen
können, aber niemand erwartet von ihnen eine andere Revanche als höchstens
ein paar Blumen zum neuen Jahr. Heiraten sie endlich, dann verschwinden sie
aus dem gesellschaftlichen Leben. […] Einer oder der andere, der ein bißchen
Geld und eine ehrgeizige Frau hat, führt auch selber Haus. Aber das ist selten und
nützt ihm weder in seiner Karriere noch bei seinen Kollegen, die er mit seinen
Einladungen, die sie doch nicht ablehnen können, in die Verlegenheit der Revan-
che und der Toilette für die Frau bringt.“430 Darauf mag es wohl angekommen
sein: Besaß eine Beamtenfamilie Vermögen entweder aus der Herkunftsfamilie
des Mannes, seiner angetrauten Ehefrau oder hatte er andere Einkünfte, die nicht
aus seinem Beamtensalär resultierten, dann konnte er am Gesellschaftsleben teil-
nehmen. Freilich ist zu betonen, dass die Beamtengesellschaft selbst einen eigenen
Mikrokosmos gebildet hatte, der wohl in erster Linie die private Umgebung der
Beamten ausmachte, worauf viele Anspielungen in den Aufzeichnungen hinwei-
sen. Auf die zahlreichen bevorzugten Heiraten innerhalb des beamteten Milieus
vom 18. bis zum 20. Jahrhundert wurde schon verwiesen.431 Diese verwandtschaft-
lich-beruflichen Beziehungen bildeten in jedem Fall das Substrat des sozialen Um-
gangs.
Die Bürgergesellschaft hatte im urbanen Milieu in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts enorm an Bandbreite gewonnen. Die Beamten hatten bis 1848 die
vornehmste Gruppe des Bildungsbürgertums dargestellt,432 die den Staat reprä-
sentierte und Symbol des Rechtsstaates war. Daraus hatten sie ihr Prestige in der
Gesellschaft, aber auch ihr Selbstverständnis und ihre Selbstachtung bezogen, die
zumindest ein wenig ihre schwierige finanzielle Situation kompensierte. Dieser
gesellschaftlichen Ausnahmestellung der Bürokratie wurde ein Ende gesetzt, als in
429 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 70, über die Wohnverhältnisse in Wien
siehe auch das Zitat Friedländers zit. S. 207.
430 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 70.
431 Siehe Kapitel „Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit“.
432 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 267–335.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277