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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
Zuge der Industrialisierung auf 15.973 gestiegen.441 Beamte nahmen also unter den
verschiedenen Sozialformationen in Dornbirn, die von kleingewerblichen Hand-
werksberufen bis hin zu Fabrikanten, Arbeitern, Landwirten, Lehrern, Advokaten
etc. reichten, zahlenmäßig keinen auffälligen Stellenwert ein. Auch das müssen
wir uns vor Augen halten, wenn wir von der Bedeutung des Beamtentums für die
bürgerliche Gesellschaft in Provinzstädten sprechen.
In den Kulturen der gemischtsprachigen Städte, wie zum Beispiel in der böh-
mischen Landeshauptstadt Prag, herrschten zwar dieselben kulturellen Gewohn-
heiten, das sozial-kulturelle Milieu der Beamten sah allerdings etwas anders aus als
in der Haupt- und Residenzstadt Wien. Das Leben gestaltete sich für die Familie
der Františka Marková nach der Übersiedlung von Wien nach Prag der Jahrhun-
dertwende komplizierter. Die Familie hatte sich für eine der beiden Gesellschaften
zu entscheiden,442 da sie „gemischt“, national-tschechisch (der Vater), deutsch-
österreichisch (die Mutter), war. In den kleineren Städten Böhmens, z. B. Laun
(Louny) und Bodenbach (Podmokly), gehörten die neuen technischen Beamten,
die Ingenieursbeamten der Eisenbahnen, selbstredend zur bürgerlichen Gesell-
schaft, die mit den leitenden Angestellten der Industrie, den hohen Beamten der
Staatsämter sowie den Professoren auf Gesellschaften, bei Ausflügen, Spielaben-
den, Kränzchen und Bällen verkehrten. In den gemischtsprachigen Gebieten blie-
ben die tschechischen und deutschsprachigen Beamten in den privaten Gesell-
schaften jeweils unter sich.443
In Bosnien dürfte sich das Gesellschaftsleben der Beamten und ihrer Familien,
wie erwähnt, hauptsächlich in den steifen Beamtenkasinos abgespielt haben, wo
die Hierarchie des Büros weiter getragen wurde.444 Für die Männer gab es aller-
dings nach Büroschluss gemütlichere Treffen in „Zirkeln“ beim örtlichen Kauf-
mann oder in der Schenke.445 Für die Ehefrauen und Töchter war hier kein Platz.
Die Lebenshaltung in Bosnien war billiger, die Familien konnten sich mehr leis-
ten, allerdings blühte auch hier die Korruption vermutlich mehr als in anderen
Kronländern.446 Die bunte nationale Mischung, die die bosnische Beamtenschaft
auszeichnete, brachte es mit sich, dass für nationale Absonderungen innerhalb
441 KARIN SCHNEIDER, Dornbirner Bürger 1867–1914 zwischen Anspruch und Alltag (= For-
schungen zur Geschichte Vorarlbergs 6, N. F., Konstanz 2005), S. 33–35.
442 MARKOVÁ-JEŘÁBKOVÁ. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 347 f.
443 FASSE. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts, S. 252 und 255.
444 Siehe auch Kapitel „Nationale Illustrationen“.
445 BAŠE. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 232.
446 BAŠE. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amts wegen, S. 212 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277