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VI. Inszenierungen
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Meinung nach zum Ministeramt befähigten. Diese besonderen Qualitäten
sind: „Verstand“, „administratives Talent“, „politische Bildung“, „Charakter“,
„Ruhe“, „Ernst“, „Selbstbeherrschung“ und die richtige Art, „mit den Menschen
umzugehen“.498 Damit gibt sie uns (unabsichtlich) das perfekte Bild der Grund-
ausstattung, die zum idealen Beamten des Jahres 1848 gehörte. Sie verlangte aller-
dings zusätzlich zu den Fähigkeiten und Tugenden auch Noblesse in Form von
vornehmer Zurückhaltung einer Ministerkarriere gegenüber. Vordrängende „Ich-
AGs“, von denen wir heute immer wieder lesen, wurden von Wilhelmina als we-
nig elegant empfunden.
Ein Vierteljahrhundert später beschreibt der junge Alexander Spitzmüller, der
1883 in die Hofkammerprokuratur eintreten durfte, seinen obersten Chef, Sekti-
onschef Andreas von Baumgartner, als imposante Persönlichkeit und idealen Be-
amten, weil er „unnachahmliche Würde“, „strenge Sachlichkeit“ und „profunde
Sachkenntnis“ aufwies.499 Alexander Spitzmüller sollte selbst später als Leiter der
Niederösterreichischen Finanzlandesdirektion der strikten Unparteilichkeit eines
Beamten höchste Priorität einräumen. Er ging nach 1907, als sich Beamte im Zug
des allgemeinen gleichen Männerwahlrechts bei Wahlwerbungen beteiligten, dis-
ziplinär gegen sie vor, weil er eine politische Agitation für nicht vereinbar mit dem
Status eines Beamten hielt.500 Dem bereits oft genannten Robert Ehrhart, der ca.
zehn Jahre später als Spitzmüller in den Staatsdienst eintrat, genügten merkwür-
digerweise diese Eigenschaften, Sachkenntnis, Charakter, Objektivität etc. nicht
mehr, er verlangte von einem idealen Spitzenbeamten darüber hinaus Wendigkeit,
Durchsetzungsvermögen sowie Einfluss und nennt Dr. Rudolf Sieghart als den
perfekten Beamten. Sieghart hatte eine steile Beamtenkarriere über die nieder-
österreichische Finanzlandesdirektion und das Finanzministerium zum Sektions-
chef und Leiter des Präsidialbüros des Ministerpräsidenten absolviert, er wurde
schließlich als Gouverneur in die Boden-Creditanstalt berufen. Auf allen Posten
verfügte er über einen hervorragenden Einfluss, der Ehrhart offenbar imponierte:
„Er war ein guter Österreicher, schielte nie über die Grenze, hatte keinerlei Ani-
mositäten gegen Nationalitäten und Parteien. Wenn er auch bestrebt war, in
seiner Tätigkeit die eigenen Fähigkeiten möglichst ins Licht zu stellen, so wollte
er sie doch ehrlich für Kaiser und Reich einsetzen.“ So schätzte Ehrhart überra-
498 Wilhelmina Salzgeber an ihre Tochter Minna Russegger am 5. Mai 1849, PA BLECHNER, Zur
Geschichte der Familie Blühdorn, Briefe, Manus, S. 62.
499 SPITZMÜLLER, „und hat auch Ursach’“, S. 27 f.
500 SPITZMÜLLER, „und hat auch Ursach’“, S. 72 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277