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1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten?
leihe bei Robert Musil, der für die zu Ende gehende Monarchie (für das Jahr 1913)
den Zustand der Bürokratie des Monarchen (und des Reiches) in seinem „Mann
ohne Eigenschaften“ wunderbar symbolisch – in Räumen – darstellt: „Auf dem
Weg zu Graf Stallburg in der Hofburg, dem Hofbeamten im Zentrum kaiserli-
cher Macht, stellte er [Ulrich] fest, dass er durch ein Gehäuse mit wenig Inhalt
gehe; die Säle waren fast unmöbliert, aber dieser leere Geschmack hatte nicht die
Bitterkeit eines großen Stils; er kam an einer lockeren Folge einzelner Gardisten
und Diener vorbei, die einen mehr unbeholfenen als prunkvollen Schutz bildeten
[…]; und vollends die wie Bankboten grau bekleidete und verkappte Dienerart,
die sich zwischen den Lakaien und Garden umtrieb, ließ ihn an einen Rechts-
anwalt oder Zahnarzt denken, der Büro und Privatwohnung nicht genügend
trennt.“526 Der feine Beobachter Musil, kein „gelernter“ Beamter, hatte erfasst,
dass ein modernes bürokratisches Prinzip, das sich seit Josephs II. Reformen Ein-
gang in die Amtsstuben verschafft hatte, nämlich die strenge Trennung von Amts-
und Privatgeschäften,527 von Kaiser und Hof, noch kurz vor dem Untergang der
Mo
narchie nicht vollzogen worden war. Kaiser und Hof stehen so bei Musil als
Symbol für das veraltete Prinzip, den Fürstendienst alten Stils und für die Unan-
gepasstheit des Reiches an die moderne Welt.
Der Begriff „josephinischer Beamte“ hatte im Verständnis der Zeit freilich
nichts mit dem Hofbeamtentum, sehr wohl aber mit dem Staatsbeamtentum zu
tun. Otto Friedländer drückt klar aus, was im Verständnis um 1900 den „jose-
phinischen Beamten“ ausmachte: „Der österreichische Beamte ist eigentlich ‚Jo-
sephiner‘. Die Gesinnung des großen Reform- und Wohlfahrtskaisers Joseph II.
ist die Gesinnung des österreichischen Beamten geblieben: allen Fortschritten zu-
getan, deutsch gesinnt, möglichst gerecht, überzeugt davon, daß die Bevölkerung
zu ihrem Glück sanft gezwungen werden muß und daß der politische Einfluß der
Kirche nicht zu groß werden darf.“528 Im Anschluss daran schlägt Friedländer in-
teressanterweise den Bogen vom Josephinismus zum modernen Sozialismus, dem
die Beamten angeblich verfallen gewesen wären. (Davon wird noch die Rede sein.)
Dieser Kennzeichnung zufolge wurde die josephinische Staatsbürokratie –
immer noch – als modern und fortschrittlich wahrgenommen, reform- und zu-
kunftsorientiert, als sozial denkend für die öffentliche Wohlfahrt eingestellt, mit
526 MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 84.
527 Siehe dazu die bürokratischen Merkmale von Max Weber bei HEINDL, Gehorsame Rebellen,
Kapitel: „Max Weber und die rationale Bürokratie“, S. 328–356.
528 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 75 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277