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VII. Josephinismus und Moderne um 1900
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dem selbstverständlichen Bewusstsein, dass sie einen säkularen Staat zu vertreten
hatte, der als alleinige Instanz gegen eventuelle Einmischungen der katholischen
Kirche oder anderer Institutionen die Geschicke im Staat zu bestimmen habe.
Zugleich wurden die josephinischen Beamten wie zur Epoche Josephs II. als auto-
ritär gesehen, denen offenbar die Aufgabe zugewiesen war, eine unmündig emp-
fundene Bevölkerung zu ihrem Glück zu zwingen, das heißt, dass sie Reform und
Revolution „von oben“ bejahten, doch „von unten“ ablehnten.
Wir haben die Frage zu stellen, ob die Beamteneliten dem josephinischen Ideal
der Fortschrittlichkeit, das sie sich gerne, wie wir sahen, auf ihre Fahnen hefteten,
tatsächlich entsprachen, ob sie reformfreudig, dem Neuen aufgeschlossen, Vor-
reiter einer neuen Zeit waren? Wie auch sonst lässt sich die Frage angesichts der
Hunderttausenden von Beamten und Tausenden von Elitebeamten nicht pauschal
beantworten. Zweifelsohne gab es eine Reihe von Beamten, die auf ihrem Gebiet
Katalysatoren der Moderne waren, wie wir es beispielsweise bei der Förderung
der Künste durch das Unterrichtsministerium festgestellt hatten.529 Freilich dürfte
die tatsächliche Vorliebe für Modernität auf dem Gebiet der Kunst und Kultur
eher begrenzt gewesen sein und die Beamten, die die Moderne begeistert begrüß-
ten, selbst in den Ämtern des Unterrichtsministeriums Ausnahmeerscheinungen.
„Grundstürzenden Neuerungen gegenüber verhielt man sich misstrauisch“, bei
Makart habe man beispielsweise bereits ein wenig „gestutzt“, Klimts Darstellung
der Philosophie haben man ratlos als „Gewoge in Blau“ betrachtet,530 meinte Ehr-
hart, der es wissen musste, war er doch damals dem Kunstdepartement im Unter-
richtsministerium zugeteilt. Das Kriterium des persönlichen Geschmacks oder der
individuellen künstlerisch-ästhetischen Vorlieben war für die Beamten allerdings
kein Thema: Sie fühlten sich verpflichtet, moderne Strömungen zu fördern.
Auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel auf dem der Verwaltung, gab es re-
formfreudige, innovative Beamte: Koerber, der als Ministerpräsident 1904 eine
Studie über Verwaltung zum Zwecke der Reform angeregt hatte,531 wurde jüngst
als Protopyp des josephinischen Beamten eingestuft, der das übernationale Reich,
dessen Weg zu einem modernen Staat im 18. Jahrhundert begann, als überna-
tionalen Staat in die Moderne führen wollte.532 Wie bereits erwähnt, wäre in
529 Siehe Kapitel „Macht und Ohnmacht“.
530 EHRHART, Im Dienste, S. 116.
531 ERNEST von KOERBER, Studien des Ministerpräsidenten Dr. Ernest von Koerber über die
Reform der inneren Verwaltung (Wien 1904); zu Koerber siehe Kapitel „Generationenkonflikte“.
532 DEAK, The Austrian Civil Service, S. 290–296, beruft sich auf die Studie von LINDSTRÖM,
Empire and Identity, S. 9.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277