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1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten?
Koerbers Plan die Bürokratie als Vehikel benützt worden, um mittels einer refor-
mierten Bürokratie und Verwaltung den gesamten Staat und die Verfassung zu
modernisieren. Auch Koerbers Gegenspieler Kielmansegg, der versuchte, Verbes-
serungen in Verwaltung und Bürokratie einzuführen und sie effektiv umzugestal-
ten, war ein Beamter im josephinischen Sinn, wenn auch seine Pläne von denen
Koerbers sehr verschieden waren. Die Kommission zur Förderung der Verwal-
tungsreform, die sehr spät, 1911, mit Ah. Handschreiben vom 22. Mai eingesetzt
wurde und die über viele Details der Neugestaltung in den einzelnen Ministerien
heftig debattierte, sind Exempel der zukunftsorientierten Reformfreudigkeit. Die
ausführlichen Protokolle der Diskussionen und die umfangreichen Gutachten533
legen lebhaftes Zeugnis für die Reformfreudigkeit im Sinn Josephs II. ab, wenn sie
auch letztlich scheiterte!
Friedländers Charakterisierung des josephinischen Beamten zielte aber nicht
nur auf Ausnahmeerscheinungen, sondern auf ein umfassenderes Bewusstsein
und Amtsverständnis: Für die „typischen“ Elitebeamten, für ihre Mentalität und
für ihr Verständnis, was einen guten Staatsdiener ausmachte,534 war entscheidend,
dass für sie – wahrscheinlich ohne es zu wissen – das Beamtenethos Josephs II.
immer noch als kategorischer Imperativ für ihr Berufsleben galt.
Max von Hussarek-Heinlein (1865–1935), der vorletzte Ministerpräsident der
Monarchie, selbst Jurist, Beamter und Universitätsprofessor für Kirchenrecht, der
seine Laufbahn 1888 als Konzeptspraktikant in der niederösterreichischen Finanz-
landesdirektion begonnen hatte, der neben und nach seiner Universitätslaufbahn
1897 Beamter im Ministerium für Cultus und Unterricht und Leiter für die An-
gelegenheiten des katholischen Cultus, 1906 Sektionschef und 1911 Minister für
Cultus und Unterricht wurde, war beispielsweise nach dem damaligen Dafürhal-
ten des Publikums Josephiner, da er trotz seiner strikten katholischen Gesinnung
ein Verfechter des Staatskirchentums und der kaiserlichen Rechte gegenüber der
Kirche war.535 Der Josephiner Hussarek-Heinlein war es auch, der klar und deut-
lich die Pflichtauffassung und Pflichterfüllung eines Beamten des beginnenden
20. Jahrhunderts formulierte, die dem josephinischen Beamtenethos voll und
ganz entsprach. In der Charakterisierung eines anderen kaiser- und verfassungs-
533 Ministerratspräsidium I/6C: Kommission zur Förderung der Verwaltungsreform 1911–1917 (15
Kartons und 45 Bände, siehe auch S. 164), ÖSTA.; DEAK, The Austrian Civil Service, S. 349–392.
534 Siehe Kapitel „Selbstinszenierungen“.
535 WILLIBALD M. PLÖCHL, Hussarek von Heinlein, Max Freiherr von. In: NEUE DEUT-
SCHE BIOGRAPHIE 10 (1974), S. 86 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biogra-
phie.de/pnd118910930.html. (besucht am 1. Dezember 2011).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277