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VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes
in den Königreichen und Ländern dieser Stern in der ausgehenden Periode der
Monarchie wegen der politischen Eingriffe der Nationen und Parteien im Sinken
begriffen war. Dank des starken Kastengeistes und der offenen Unterstützung des
Souveräns wussten sie sich staatlichen und gesellschaftlichen Einfluss zu verschaf-
fen. Ironie und Selbstironie, die dem Beamtentum als wesentlicher Charakterzug
zueigen waren,613 resultierten aus Machtbewusstsein, der Erkenntnis um die Un-
vollkommenheit des Apparates (und wohl auch der eigenen Amtshandlungen)
sowie aus dem Wissen um ihre Kunst des Jonglierens mit Gesetzen und bürokra-
tischen Prozessen. Ihr Stolz und ihre (nachgesagte) Arroganz kamen aus der Er-
kenntnis ihrer Unentbehrlichkeit für das gesellschaftliche und staatliche System.
Die Beamten verkörperten nach wie vor – je unübersichtlicher und unkalkulier-
barer die sozialen und nationalen sowie die kulturellen Probleme und Konflikte
wurden, desto mehr – das Prinzip von Rechtsstaatlichkeit.
Angesichts dieses skizzierten Selbstverständnisses sowie der starken Prägung
durch die Kategorien der Hierarchie und der sozialen Privilegierung, die sich
die bürokratischen Eliten selbst anmaßten, fällt es nicht schwer, die Frage der
dominanten Trennungslinien innerhalb der Beamtenmentalität zu beantworten.
Die Frage erhebt sich nämlich, ob die nationale Ausdifferenzierung innerhalb der
Gesellschaft, die in der Geschichtsschreibung der Habsburgermonarchie ein do-
minantes Thema darstellt, innerhalb der Bürokratie die gleiche Rolle spielte. Ob
die nationalen Kriterien als stärkster Identifikations- und Entscheidungsfaktor für
die bürokratischen Eliten Priorität besaßen, wie sie für andere soziale Gruppen
der österreichisch-ungarischen Monarchie im Allgemeinen angenommen werden.
Die sozialen Grenzen innerhalb der Beamtenpyramide und die Abschottung
nach außen, die als wesentliche Elemente der Bürokratie galten, wirkten bei den
hohen Beamtenrängen mit einiger Sicherheit stärker als nationale Kategorien, die
in dieser gehobenen Klasse des Beamtentums oft ignoriert wurden bzw. nicht vor-
handen waren. Ein polnischer Sektionschef ging mit einem tschechischen, ita-
lienischen oder deutsch-österreichischen Sektionschef anders, egalitärer, um als
mit im Rang „unter“ ihm situierten Kollegen. Ein deutschsprachiger Sektionschef
ging mit einem kroatisch- oder italienischstämmigen Sektionschef gemeinsam di-
nieren. Dass er mit seinem Konzipisten (es sei denn, dieser kam aus dem hohen
Adel) essen ging, ist schwer nachvollziehbar. Die hohen Beamten der Monarchie
613 Zum Beispiel FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 72; auch stark betont in der
Literatur: SCHMIDT-DENGLER, Der Herr im Homespun, S. 108; ZELGER, Das ist alles viel
komplizierter, S. 377; siehe auch Kapitel „Selbstinszenierungen“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277