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VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes
Beamtenstand kamen. Nach einem flüchtigen Blick in die Liste der Unterrichtsmi-
nister ergaben sich ähnliche Verhältnisse. Das bedeutet, dass nicht nur die Verwal-
tung des Landes, sondern auch in einem massiven Ausmaß die politische Kultur
Kakaniens von Beamten geprägt war, von denen vermutlich die meisten auch als
Politiker wie Beamte agierten. Es nimmt daher nicht wunder, dass in Cisleitha-
nien eine besondere „politische Kultur des Etatismus“ ausgebildet werden konnte,
deren vornehmste Träger die Beamten waren und die tief greifend das gesamte
öffentliche Leben prägte.618 Daraus erklärt sich auch der Grundzug der österreichi-
schen Politik vor dem Ersten Weltkrieg, der als eher konflikt- und handlungsscheu,
aber doch zäh und bedachtsam bezeichnet werden kann. Die Einberufung reiner
Beamtenregierungen, wie unter Ministerpräsident Eduard Taaffe, noch mehr der
Beamtenkabinette, die zu Zeiten des politischen Stillstands in der zweiten Hälfte
der 1890er-Jahre berufen wurden, da wegen der mangelnden Mehrheiten im Par-
lament von den Parteien keine Regierung gebildet werden konnte, sprechen für
sich: Die Beamten, „die großen Sektionschefs“, waren die einzigen, die in Zeiten
der Krisen und des Notstandsparagrafen die nötige Ausbildung, Kenntnisse sowie
Fähigkeiten aufwiesen und das Vertrauen des Kaisers besaßen, den Staat zu lenken.
Dass es gerade die Beamtenkabinette waren, die den Notstandsparagraf 14 ausgie-
big anwandten, ist ebenso aufschlussreich.619 Der Befund lässt auf eine autoritäre
Grundeinstellung, zumindest auf ein mangelndes Vertrauen in die parlamentari-
schen Abgeordneten schließen, was angesichts der Tumulte im Abgeordnetenhaus
im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht ganz ungerechtfertigt erscheint. Er demons-
triert gleichzeitig auch das Selbstvertrauen sowie das Selbstbewusstsein dieser bü-
rokratischen Eliten, gleich Mandarinen den Staat zu beherrschen. So geheim wie
eingangs angenommen waren also der Einfluss und die Macht der bürokratischen
Eliten nicht, obwohl die Frage kaum in der Öffentlichkeit thematisiert wurde.
Wenn Manfried Welan diagnostiziert: „Österreich war seit 1867 ein Rechtsstaat
mit großer Rechtssicherheit. Aber eine Demokratie war es nicht“,620 so entsprachen
diese politischen Verhältnisse der Arbeit der Beamten in Verwaltung und Regie-
rung. Aus den gehorsamen Rebellen waren mächtige Mandarine geworden.
Die politisch-soziale Reputation war so stark ausgeprägt, dass sich gerade das
Beamtentum noch als Identifikationsfaktor für die Bürger des neuen Staates der
618 ERNST HANISCH, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte
im 20. Jahrhundert (Wien 1994), MANTL, Liberalismus und Antiliberalismus, S. 21–29.
619 Nach der Dezemberverfassung vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 141/1867.
620 MANFRIED WELAN, Verfassung. Aphorismen und Assoziationen (o. O. 2011), S. 9.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277