Seite - 91 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 91 -
Text der Seite - 91 -
Zur Verbreitung von faschistoiden Inhalten trage die »Kronen Zeitung«,
die stets gegen die »Ausländerbagage«503 hetze, wesentlich bei. Als einer der
schlimmsten Hetzer gegen »Ausländer, Intellektuelle und linke Künstler«504
tritt etwa der langjährige Krone-Kolumnist »Staberl« in »Stecken, Stab und
Stangl« als FLEISCHER in rosa Häkelkleidung mit einem übergestülpten, ge-
häkelten Schweinskopf auf.505 Dieses Theaterstück verfasste Jelinek, nachdem
vier Roma im burgenländischen Oberwart 1995 von einer Rohrbombe getötet
worden waren. Das Attentat führte schlimmerweise nicht nur zu Reaktionen wie
Entsetzen und Mitgefühl, sondern riefen auch den damaligen FPÖ-Obmann
und umstrittenen Rechtspopulisten Jörg Haider auf den Plan, der öffentlich die
Ansicht vertrat, die Roma hätten an ihrer Ermordung möglicherweise selbst
Schuld gehabt : So stellte er die Meinung in den Raum, dass ein Konflikt bei ei-
nem Waffengeschäft, einem Autoschieberdeal oder um Drogen hinter dem An-
schlag stecken könnte
– eine Aussage, die Jelinek offensichtlich so schauderhaft
fand, dass sie diese als Zitat ihrem Theaterstück voranstellte.506 Auch sollen die
ermittelnden Polizeibeamten den Hinterbliebenen eines Opfers dazu aufgefor-
dert haben, er möge doch endlich zugeben, dass sein getöteter Stiefbruder selbst
den Sprengstoff besorgt habe.507 So wird in »Stecken, Stab und Stangl« nicht
das Geschehene selber, also das Rohrbomben-Attentat, sondern vielmehr das
Sprechen darüber in den Mittelpunkt gestellt, wobei die ermordeten Roma eine
Art roten Faden für das Stück bilden, das – wie sämtliche neuere Theaterstü-
cke Jelineks – keine lineare Handlung verfolgt, sondern als Aneinanderreihung
von monologisierenden Textflächen gestaltet ist und stark auf der assoziativen
Ebene arbeitet. Mit dem Titel bezieht sich die Autorin auf die Psalmen Davids :
In Psalm
23 heißt es : »Dein Stecken und Stab trösten mich«, wobei »Stab« eine
offenkundige Anspielung auf den Kolumnisten »Staberl« darstellt. Mit »Stangl«
ist Franz Stangl, der Kommandant des Konzentrationslagers Treblinka, gemeint,
worauf Jelinek in einem Interview selbst hingewiesen hat.508
503 Ebd.
504 Ehlers, Die Faschismuskritik der Elfriede Jelinek, S. 4.
505 Vgl. Jelinek, Stecken, Stab und Stangl, Beschreibung des Fleischers in der Regieanweisung auf
S. 22.
506 Vgl. Jelinek, Stecken, Stab und Stangl, S. 15.
507 Vgl. Ehlers, Die Faschismuskritik der Elfriede Jelinek, S. 3. Ehlers zitiert aus diversen
profil-Artikeln zu dem Attentat und dessen Reaktionen : profil Nr. 07, 1995 und profil
Nr. 34, 1995.
508 Das Interview »Ich bin im Grunde ständig tobsüchtig über die Verharmlosung«, das Stefanie
Carp mit Jelinek geführt hat, kann unter dem Link »Zum Theater« auf Jelineks Homepage
nachgelesen werden. Vgl. auch Ehlers, Die Faschismuskritik der Elfriede Jelinek, S. 4 f. (Sie
bezieht sich vermutlich auf Jelineks Erläuterungen in diesem Interview.) 91
Poetologische Einführung |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319