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den realen Vorbildern sind dabei nebensächlich – so wurde etwa Maresa Hörbi-
ger, die als Putzi bereits im ersten Teil des Stücks, der 1941 spielt, in Erschei-
nung tritt, laut Regieanweisung aber auch von einer »lebensgroßen Stoffpup-
pe«28 vertreten werden kann, erst im Jänner 1945 geboren. Auch waren Paula
Wessely und Attila Hörbiger erst ab den 1950er Jahren am Wiener Burg theater
engagiert und nicht schon in den frühen 1940er Jahren, wie im Stück suggeriert
wird.29 Das Ineinanderblenden verschiedener zeitlicher Ebenen gehört aller-
dings zu Jelineks bewusst gewählter dramaturgischer Methodik, was im Rah-
men der Textanalyse noch genauer diskutiert werden wird.
Das Stück ist von normaler Länge, was an dieser Stelle nur deshalb festgehal-
ten werden soll, weil einige der neueren Jelinek-Dramen aufgrund der Dichte
ihrer Textflächen, auch bei starken Kürzungen, nur in Überlänge gezeigt werden
können (beim »Sportstück« oder bei »Das Werk« musste das Theater-Publikum
immerhin vier bis sechs Stunden ausharren.)
Jelineks »Burg theater«-Stück kommt insgesamt mit wenig Personal und ei-
nem Minimum an Requisiten aus.
Wichtig, weil aussagekräftig, ist die Kostümierung der Protagonisten – sie
entspricht jener aus den erfolgreichsten Filmen der Wessely/Hörbigers : Käthe
trägt im ersten Teil »ein stark stilisiertes Trachtenkostüm mit applizierten riesigen
Eichenblättern«, durch die an der Brust je ein Dolch gebohrt ist (»Die ganz gro-
ßen Torheiten«30), im zweiten Teil ein »heruntergekommenes, aber sehr aufg’ma-
scherltes Abendkleid im Wiener Wäschermadl Stil«31. Schorsch ist mit einem
Frack oder Smoking bekleidet und »sieht aus wie ein Ober« (»Ober, zahlen !«32).
Istvan trägt ungarische Reitkleidung (»Ernte«33).34 Resi, die von Jelinek in der
Regieanweisung als »Anni-Rosar-Typ«35 bezeichnet wird, ist in eine Altwiener
Dienstmädchentracht gekleidet. Mausi und Putzi, die beiden kleinen Kinder,
sind »unglaublich aufgemascherlt« und haben riesige Schleifen im Haar.36
Im ersten Teil, der 1941 spielt, wird das Schauspieler-Ehepaar Käthe und
Istvan beim gemeinsamen Essen mit Istvans Bruder Schorsch, der eben-
28 So die Autorin in der Regieanweisung zu dem Stück. Siehe Jelinek, BT, S. 130.
29 Vgl. Annuß, Theater des Nachlebens, S. 64.
30 Deutsche Literaturverfilmung aus dem Jahr 1937, in der Hauptrolle Paula Wessely.
31 BT, S. 159.
32 Österreichischer Spielfilm aus dem Jahr 1957, in den Hauptrollen Paul Hörbiger und Hans
Moser.
33 Österreichischer Spielfilm aus dem Jahr 1936, in den Hauptrollen Paula Wessely und Attila
Hörbiger. Gilt als Propagandaspielfilm für das austrofaschistische Regime.
34 Vgl. Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 185.
35 Jelinek, Burgtheater (im Folgenden abgekürzt mit BT), S. 130 (Regieanweisung).
36 BT, S. 131. 113
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319