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Beispiel in einer Art Babysprache über die Giftspritzen und Gaskammern lustig
macht :
Istvan : Hui ! Ui Jegerl ! Spritzerl ins Venerl ! Benzin ! Gasi ! Gassigassi mitm
Hundi !123
Es drängt sich weiters die Assoziation eines anderen, ganz bestimmten Sprach-
gebrauchs auf, denn die ständige Verwendung von Verniedlichungen und Aus-
rufen wie »Ui Jegerl !«, auch an unpassendster Stelle, verweisen auf ein Genre,
das heutzutage für Kinder reserviert ist : das Kasperltheater. Zur Untermauerung
dieser Behauptung sei hier auf Jelineks Homepage verwiesen, auf welcher der
erste und der zweite Teil des Stücks jeweils mit einem kleinen Bildkommentar
abgeschlossen werden, auf dem der Kasperl und dessen Gefährte, der Teddybär
»Pezi«, zu sehen sind.124 Das »Burg theater« als der Inbegriff der österreichischen
Hochkultur wird hier demontiert und in seiner künstlerischen Bedeutung mit
dem Kasperltheater, einer (kaum mehr steigerbaren) Form von Subkultur, ver-
glichen.
Möglicherweise charakterisiert sich die Figur Istvan in Jelineks »Burg-
theater«-Stück selbst am besten, indem sie feststellt : »Denkt sich sein Teil und
läßt den Großsulz reden !«125 In dieser kleinen Bemerkung wird eine recht ge-
wichtige Aussage zum Ausdruck gebracht : das Stillhalten und Wegschauen in
einem Willkürregime, in dem ein anderer die Entscheidungen trifft, ob es nun
Schorsch oder ein anderer »Fiehrer« ist – Istvan glaubt und zieht es vor, es
jedenfalls selbst nicht zu sein.
Das Bekenntnis zum Führer und die Begeisterung über den »Anschluss« wird
von Istvan im Laufe des Stücks wiederholte Male formuliert : »Mein Fiehrer
befiehl, mir folgen dir !«126 oder »Anstrengen missen mir uns, damit mir die
woamen, otmenden Laiber am Heldenplotz, die was unsarem Fiehrer ein so
begeistertes Willkommen entboten hoben, auch urdentlich befriedigen ken-
nen.«127 Jelinek greift in diesem Kontext (wie übrigens auch in anderen ihrer
Texte) die von ihr offenbar als abwegig befundene »Führer-Theorie« auf, wonach
die Person des »Führers« als nahezu ausschließliche Ursache für die Entstehung
faschistischer Herrschaftssysteme begriffen, also etwa die Person Adolf Hitlers
123 BT, S. 151.
124 Siehe Homepage Jelinek : http://www.elfriedejelinek.com sowie Hochholdinger-Reiterer,
Amok, S. 49.
125 BT, S. 159.
126 BT, S. 141.
127 BT, S. 134.
128 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319