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sich einmal unterordnet (unter die Befehlsgewalt des Schwagers, zum Teil auch
des Ehemannes, auch : unter die Vorgaben, Gesetze und Ideale des Regimes, die
sie anfangs noch halbherzig beeinsprucht : »Niemals gebe ich einem Verlangen
nicht nach. Nicht einmal wenn es von der Heimat herkommt.«154), ein anderes
Mal, indem sie sich selbst über andere stellt (über Resi, über die Kinder, über
den Alpenkönig sowie den Burg theaterzwerg). Die unhinterfragte Ein-
gliederung in Hierarchien ist ein weiteres wesentliches Merkmal dieser Figur
und greift wiederum Wippermanns Charakterisierung faschistischer Parteien
und Organisationen voraus (»… hierarchisch nach dem Führerprinzip geglie-
dert…«155).
Obwohl Käthe von Istvan und Schorsch immer wieder gemaßregelt
wird, sie müsse nun »urdentlich daitsch«156 sprechen, hält sie die Hochsprache –
wie im Übrigen auch die beiden anderen Figuren – nicht konsequent durch
und verfällt immer wieder in einen ebenso wenig konsequenten, unnatürlich
wirkenden Dialekt.
Jelinek legte ihrer weiblichen Hauptfigur wörtliche Zitate aus Wessely-Fil-
men, Kritiken und Biografien in den Mund
– Zitate, die seit den 1930/40er Jah-
ren in verschiedenen Variationen tradiert wurden, ohne dabei jemals inhaltlich
hinterfragt zu werden157, und dadurch das »unschuldige, unbestreitbare Bild«158,
jenen Wessely-Mythos schufen, der die Schauspielerin jedweder politischen
Verantwortung enthob, da sie als Mimin stilisiert wurde, die angeblich ohnehin
niemals sie selbst sei, wie Käthe in »Burg theater« deklamiert : »Nie ist die Mi-
min sie selbst.«159 So stellt etwa Steiner fest, dass es bei Walter Ibach, der 1943
eine der ersten Wessely-Biografien veröffentlicht hatte, eine bemerkenswerte
Charakterisierung gebe, die hier einer Passage aus »Burg theater«, einer Selbstre-
flexion Käthes, gegenübergestellt wird :160 161
Prätext (Ibach)
»Sie ist im Volksmund ein Volkslied, das
bleibt und klingt, weil es echt ist : die
Wessely.«160 Posttext (Jelinek)
Käthe : »Ich bin im Volksmund ein Lied,
das bleibt und klingt, warum ? Weil es
echt ist !«161
154 BT, S. 132.
155 Wippermann, Hat es Faschismus überhaupt gegeben, S. 56. Vgl. Kapitel 1.4.1 dieser Studie.
156 Vgl. BT, S. 140.
157 Vgl. Steiner, Die verdrängten Jahre, S. 177.
158 Beschreibung des Mythos nach Barthes, vgl. Kapitel 1.4.3 dieser Studie.
159 BT, S. 141.
160 Ibach, Die Wessely, S. 78.
161 BT, S. 182.
134 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319