Seite - 140 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Zwerg : Schnöö ! Tummel dich ! Ungustel !
Resi : Im Kosten worst schon, und unter mein Bett aa. …
…
Resi : Ob ich es vielleicht mit diesem Büffet versuche ? Es sieht recht vertrauenerwe-
ckend aus. …
Zwerg : Alles ist entschieden besser. Nur nicht die körperliche Vernichtung durch den
braunen Spuk. …191
Auch der Burg theaterzwerg verkörpert (wie der Alpenkönig) einen ehe-
maligen Schauspielerkollegen von Käthe, Istvan und Schorsch, der auf-
grund seiner Kleinwüchsigkeit unter dem NS-Regime jedoch nicht mehr spie-
len konnte, sondern um sein Leben zittern musste. Durch seine Anwesenheit
bringt der Zwerg aber auch Resi in Gefahr, da auch diese vor der Denunziation
durch ihre Familie nicht sicher ist :
Zwerg : Nehme keine unnetigen Risiken auf dich, Theresia, liabs Kaiserwaberl ! …
Deine braune Herrschaft, was einmal meine Kollegenschaft woren, teetet dich und mich
ohne viel Federlesens. Singsang, klingklang. Bimbam schlägts Uhrl dem Ahndl.192
Die »braune Herrschaft«, eigentlich Resis Familie, erscheint somit als eine
Bande gewissenloser Opportunisten, die im Zweifelsfalle die Zweckerfüllung
im Regime dem Leben eines Familienmitglieds vorziehen würden, zumal dieses
als zurückgeblieben eingestuft wird.
Der Burg theaterzwerg wird schließlich in seinem Versteck aufgespürt.
Der Familienrat beschließt jedoch, ihn nicht sogleich zu denunzieren, sondern
lieber für einen anderen Zweck zu benutzen : Schließlich steht die Rote Ar-
mee bereits vor den Toren Wiens. Käthe und Istvan sind gefährdet, von der
Fremdmacht als Mitläufer oder -täter klassifiziert und dafür bestraft zu werden
(Schorsch ist zwischenzeitlich abgetaucht). Sie beschließen daher kurzerhand
vorzutäuschen, sie hätten den Zwerg über Jahre hinweg versteckt gehalten, um
ihn vor der sicher scheinenden Ermordung zu beschützen. Auf diese Weise
hoffen sie, die künftigen Besatzer in ihrem Urteil milde stimmen zu können.
Der Burg theaterzwerg erklärt sich zu diesem Handel bereit, wenn er im
Gegenzug mit den Liebesdiensten der ältesten Tochter, Mitzi, belohnt würde.
Das bevorstehende Ende des NS-Regimes hat ihm plötzlich hohen Marktwert
verschafft : »I steh jetz gonz onders do, wo der Russ kimmt«193, weist er Resis
191 BT, S. 160.
192 BT, S. 161.
193 BT, S. 171.
140 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319