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Annäherungsversuche brüsk von sich. Auch Käthe gegenüber macht er deut-
lich, dass er nicht ohne die gewünschte Gegenleistung, den Beischlaf mit der
jungen Mitzi, für sie lügen wolle :
Zwerg : Ich verliere hier meine Zeit mit Ihnen. Seit Wochen bereits belästigen mich
ehemalige Kollegen des Burg theaters, ich sull sogen, ich bin in eahnare Kölla ge-
huckt.
… Nur die Allerbledesten von eahnen sind nicht in der glücklichen Loge, einen
Reschimegegner ihr eigen nennen zu dirfen. De werden donn dawischt wern.194
Der Vorfall mit dem Burg theaterzwerg könnte eine Anspielung Jelineks
auf Paula Wesselys biografische Legende sein, wonach diese einer Bekannten
geholfen haben soll, deren Freund während des Kriegs zu verstecken.195
Diese Passage verdeutlicht einmal mehr, dass Käthe, Istvan und Schorsch
als repräsentativ für jene Künstler zu sehen sind, die während der NS-Zeit mit
der Staatsmacht kollaboriert hatten und nach 1945 plötzlich Widerständige
oder Regimegegner gewesen sein wollen.
Der Zwerg, der auf das Liebesspiel mit Mitzi schließlich doch verzichten
muss, weil Schorsch als angeblicher Widerstandskämpfer (»der ollernaicheste
Patriot«196) bereits für die Rehabilitierung der Familie gesorgt hat, beschließt
schließlich im Stück, sein Glück andernorts zu versuchen.
3.1.3.5 RESI »Der Herrgott siecht Ihnen zu !«197
Resi, die zur Dienstbotin degradierte Schwester von Istvan und Schorsch,
ist eine zunächst unscheinbare Figur. Sie bedient, knickst, wird getreten und
beschimpft, wirkt eingeschüchtert, bleibt die ganze Zeit über untertänig. Die
Familie erpresst sie mit dem Damoklesschwert der nationalsozialistischen Eut-
hanasieprogramme :
Käthe : Sie missversteht, Theres. Sie bedenkt necht, daß sie aufgrund ihrer erblichen
Schwachsinnigkeit ebenfalls aufs Äußerste gefährdet ist. Sie verdankt es unserer natier-
lichen Gutmietigkeit, daß sie noch hienieden weilt.198
194 BT, S. 178.
195 Vgl. Fiddler, Rewriting Reality, S. 104.
196 BT, S. 166.
197 BT, S. 147.
198 BT, S. 169. 141
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319