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Auch hier bedeutet das einzelne Wort zumeist nichts, arbeitet der Dichter vor-
wiegend auf der assoziativen Ebene : So ergeben die groß geschriebenen An-
fangsbuchstaben von »Sa-Atz zu Sa-Atz« (sonst konsequente Kleinschreibung)
die Abkürzung für die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP, »SA«
(»Sturmabteilung«), der »knie-ender« steht für deren Uniformierung mit halb-
langen Stiefelhosen etc.
Offensichtlicher sind jedoch die Bezüge zu den deutschsprachigen Klassi-
kern, neben Grillparzer wiederholt auch zu Goethe und Schiller, etwa wenn
der Alpenkönig (ganz faustisch) reklamiert : »Hier bin ich nur Österreicher,
hier darf ichs sein.«250 Oder wenig später : »Hier bin ich Mensch, hier darf ichs
sein.«251 Die parodistische Verfremdung deutschsprachiger Klassiker in Jelineks
»Burg theater« verweist nach Hochholdinger-Reiterer sowohl auf die im Natio-
nalsozialismus praktizierte Instrumentalisierung humanistisch-klassischen Ge-
dankenguts als auch auf die nach dem Krieg vielfach gepflogene retrospektive
Interpretation der Klassikerpflege als Akt des inneren Widerstands.252
Zudem war es unter Baldur von Schirach, ab 1941 Gauleiter und Reichs-
statthalter von Wien, kulturpolitische Linie, Volkstheater spielen zu lassen, was
nach 1945 gerne als Widerstand gegen das NS-Regime umgedeutet wurde.253
Das »Volk«, das im Nationalsozialismus rassisch definiert wurde, findet sich in
vielen Textbeispielen aus dem Jelinek-Stück wieder : So beschwört etwa Istvan
im ersten Teil (1941) noch die »heilige Energie des Vulkes«254, dieses schließt
sich am Ende, 1945, auf Istvans Vorschlag hin zu einem »einig Vulk von Geg-
na«255 zusammen – der Volksbegriff taugt also nicht viel : Vielmehr wird mit
ihm Heterogenes, Widersprüchliches »zu falscher Ganzheit verschleimt«256,
so Lengauer. Akteur dieses Vorgangs seien in Jelineks Stück die dargestellten
Volks- und Staatsschauspieler, Käthe, Istvan und Schorsch, die bisweilen
als willenlose Reiter auf den mit ihnen durchgehenden Zitaten und Assoziati-
onen erscheinen.257
Im Folgenden sind Beschwörungen des deutschen Volks und der deutschen
Sprache durch Paula Wessely in »Heimkehr« wiedergegeben, die Jelinek in ih-
rem »Burg theater«-Stück wiederholt aufgriff. Wessely spielte in diesem Film die
»Volksdeutsche« Marie Thomas :
250 BT, S. 145.
251 BT, S. 148.
252 Vgl. Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 56.
253 Vgl. Annuß, Theater des Nachlebens, S. 61.
254 BT, S. 135.
255 BT, S. 183.
256 Lengauer, Jenseits vom Volk, S. 219.
257 Vgl. ebd. 153
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319