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ter gestört haben dürfte.301 In Tagebucheintragungen hatte er von Wessely und
ihren Filmen geschwärmt :
»Film »Maskerade‹. Sehr gut gemacht. Wunderbare Paula Wessely. Wie natürlich und
groß. Ein wahrer Genuß, ihr zuzuschauen.«302
»Die Wessely ist ganz herrlich.« 303
»Die Wessely ist ans Herz gehend und zu Tränen rührend. Man schämt sich der Rüh-
rung nicht.« 304
»Mit Hilpert feste Engagements von Wessely, Attila Hörbiger und Balser besprochen.
Ich forciere das. Wir müssen alle großen Künstler nach Deutschland holen.«305
Auch 1943, als sich die Niederlage im Krieg für das Deutsche Reich bereits
abzeichnete, führte Goebbels seine Linie fort, mit Darstellern beim Film und
Künstlern im Allgemeinen »nicht allzu streng« zu sein (sofern sich diese nicht
offen staats- oder kriegsfeindlich zeigten) : »Künstler dürfen auf politischem
Gebiet nicht ernst genommen werden«306, notierte er
– mehr denn je war er auf-
grund der schlechten Kriegslage auf die kalmierende Wirkung angewiesen, die
mit der Unterhaltungsbranche erzielt werden konnte. Wesselys durchaus regis-
trierte altkatholische Gesinnung (»… fast jeden Sonntag in der Kirche Wien 1,
Annagasse«307) wurde daher von den Nationalsozialisten toleriert, ebenso wie
ihre Aktivitäten im Ständestaat vor 1938.308
Wenn sie auch während der NS-Zeit im Privaten mit Juden verkehrte und
gemeinsam mit Ehemann Attila versuchte, für jüdische Freunde und Kollegen
zu intervenieren, so ließ sie sich dennoch von der NS-Elite hofieren und stellte
sich für propagandistische Zwecke zur Verfügung. Schließlich übernahm sie in
dem antipolnischen und antisemitischen »Heimkehr«-Film, auf den im »Burg-
theater«-Text wiederholt angespielt wird, die weibliche Hauptrolle der Marie
Thomas, beschwor in dieser Rolle (vorbildhaft für das Kinopublikum) die Tu-
301 Vgl. Rathkolb, Führertreu und gottbegnadet, S. 262.
302 Fröhlich, Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Bd. 2, Eintrag vom 22.8.1934, S. 475.
303 Dies., Teil I, Bd. 3, Eintrag vom 28.4.1937, S. 126.
304 Ebd., Eintrag vom 7.11.1937, S. 329.
305 Ebd., Eintrag vom 8.12.1937, S. 360.
306 Dies., Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 9, Eintrag vom 23.9.1943, S. 584.
307 Eintragung im Gauakt Attila Hörbiger/Paula Wessely, zitiert nach : Rathkolb, Führertreu und
gottbegnadet, S. 262.
308 Vgl. ebd.
162 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319