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Wessely offen angewidert als »Natürlichkeitsschleim«360 bezeichnete : ein in ih-
rem literarischen Werk rekurrenter Ausdruck, mit dem sie auf den sich unauf-
haltbar (wie Schleim sich) ausbreitenden ubiquitären Faschismus aufmerksam
machen will.361
»Der Engel mit der Posaune« wurde im Jahr 1948 vom Publikum zum bes-
ten Film des Jahres gewählt.362 Die Uraufführung habe laut Spiegel-Bericht
»ans Herz gegriffen«363, manche der eleganten Damen hätten sich die verlau-
fene Schminke aus dem Gesicht tupfen müssen.364 Die Darsteller
– neben Paula
Wessely waren auch Attila und Paul Hörbiger zu sehen, daneben andere Pub-
likumslieblinge des deutschsprachigen Nachkriegsfilms (Helene Thimig, Maria
Schell, Erni Mangold, Hedwig Bleibtreu, Hans Holt)365 – hätten sich zu einem
Ensemble zusammengefunden, »wie es selten in so dichter Gemeinsamkeit ge-
sehen worden ist«366.
Jelineks »Burg theater« ist ein Theaterstück, das offensichtlich und unverhoh-
len aus der Nachkriegsperspektive geschrieben wurde : Die »Images der Ge-
genwart«367 wurden von der Autorin mit voller Absicht in die Textproduktion
integriert, denn auch in diesem frühen Theatertext Jelineks geht es nicht darum,
mit literarischen Mitteln historische Rekonstruktion zu betreiben, sondern viel-
mehr um die in sprachliche Ausweichmanöver verpackte Reflexion dieser Zeit.
Die von Jelinek in dieser Form gewählte Auseinandersetzung mit der Pro-
blematik der persönlichen Schuld Einzelner muss daher als legitim bezeichnet
werden, denn bei all der Aufregung rund um die Uraufführung in Bonn ging es
schließlich nie alleine um die Kritik an diesen österreichischen Publikumslieb-
lingen, sondern vielmehr um die Frage, wie die Zweite Republik Österreich mit
der Frage nach der persönlichen Involvierung von österreichischen Künstlern in
das NS-Regime umging und -geht. Im konkreten Fall stellt sich vor allem die
Frage nach persönlicher Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit der Teil-
nahme an der nationalsozialistischen Kulturindustrie. Auf diese Frage gibt Je-
lineks »Burg theater« eindeutige Antworten : »Das Stück destruiert den Mythos
vom unpolitischen Künstler und denunziert seine Figuren nicht bloß als Mitläu-
fer und Opportunisten, sondern als ideologische Vollstrecker des Holocaust.«368
360 Jelinek, zitiert nach : http://www.elfriedejelinek.com (Zugriff am 20.11.2007).
361 Vgl. Kapitel 1.6.2 dieser Studie.
362 Vgl. http://www.film.at/der_engel_mit_der_posaune (Zugriff am 5.3.2011).
363 Der Spiegel, Nr. 35, 1948.
364 Vgl. ebd.
365 Vgl. http://www.film.at/der_engel_mit_der_posaune (Zugriff am 5.3.2011).
366 Der Spiegel, Nr. 35, 1948.
367 Annuß, Theater des Nachlebens, S. 64.
368 Janz, Elfriede Jelinek, S. 64. 171
»Burg
theater« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319