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3.2.5.2 Klingendes Österreich : Von Volksmusik bis Austropop
»Einige Takte Volksmusik, Ötztaler Bläser
schlagen ihre Lippen und Zähne in Menschen,
die dauernd glauben, daß sie derweil etwas
Besseres gerade versäumen, vielleicht Zillertaler
Schürzenjäger …«673
Auch österreichisches Liedgut, das Volkslieder und das Jodeln ebenso ein-
schließt wie die Bundeshymne und Austropop à la Rainhard Fendrich674, wird
in »Die Kinder der Toten« wiederholt als dankbares Mittel zur Zerstreuung aller
Selbstzweifel beschrieben :
»Die Forderungen der Feriengäste gehen jetzt … in eine ganz andere Richtung, stärker
ins Volkstümliche, damit sie die Niederlage ihres Lebens durch einen großen Sieg, den
Sieg im zweiten Weltkrieg, krönen können, den dieses Volk im Singen und Jodeln ge-
wonnen hat…«675
Die bösen Seitenhiebe auf (vorwiegend) triviale Musikgenres rühren nicht von
ungefähr – nichts wird von Elfriede Jelinek, die selbst seit frühester Kindheit
in klassischer Musik an verschiedenen Instrumenten ausgebildet wurde, dem
Zufall überlassen. In »I am from Austria« besingt Fendrich seine fast schon
romantische Liebe zur Heimat (»Do bin i her, da g’hör i hin«676). Selbstkriti-
sche Töne sind in trivialen Musikgenres wie volkstümlicher Schlagermusik oder
Austropop nicht üblich, denn diese bedienen das Bedürfnis nach Harmonie und
Wunscherfüllung. In diesem Sinne zielt diese Art von Unterhaltungsmusik auch
darauf ab, den Nationalstolz zu befriedigen und zu befördern.
Prinzipiell schaffen Schlagermusik und ähnliche Musikrichtungen einfache,
harmonische und scheinbar eindeutige Bilder, die – je nach Intention – mit un-
terschiedlichen Bedeutungen aufgefüllt werden können. Auf diese Weise kann
auch die von Jelinek kritisierte seichte Unterhaltungsmusik zu einer Aussage
werden (nach Barthes können »die Objekte selbst … [zu] Aussagen werden,
wenn sie etwas bedeuten«).677
673 KDT, S. 304.
674 Vgl. KDT, S. 19.
675 KDT, S. 22.
676 Steht zum Beispiel als Musikvideo auf YouTube zur Verfügung : http://www.youtube.com.
677 Ebd., S. 87. 221
»Die Kinder der Toten« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319