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Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs auf dem scheinbar idyllischen
Grund und Boden österreichischer Naherholungsgebiete.
3.2.5.5 Auschwitz : Wir waren’s nicht
»Einer muß das Gemüt ja tragen, und die
Deutschen, tragen es am liebsten, die geben
es nicht an den Nachbarn ab, wenn sie müde
werden.«732
Im Text befinden sich etliche Hinweise auf jene zahllosen »lebende[n] Leich-
name«733, die sich allmählich aus ihren Verstecken hervorarbeiten und sich mit
den Regenfluten zu jenem braunen, giftigen Untoten-Brei vermischen, der letz-
ten Endes als Mure über die Pension kommt. Dieses Motiv wird im Lauf des
Romans sowohl in seiner Eindringlichkeit als auch Eindeutigkeit immer mehr
gesteigert, denn mit immer expliziteren Hinweisen wird ausgedrückt, welche
Leichname konkret gemeint sind : Da wird zum Beispiel auf das Gas verwie-
sen, in das die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik seit Anfang
1942 geschickt wurden :734
»Es muß sehr giftiges Gas gewesen sein, woher sonst die zinnoberrote Haut ? Da ist
etwas böse aus den Düsen gezischt…«735
»Es gibt ja inzwischen Citygas light, viele wären ärgerlich gewesen, hätte es das zu ihrer
Zeit schon gegeben. Sie hätten sich etwas anderes zum Sterben aussuchen müssen oder
… atmen können, und es wäre ihnen gar nichts passiert.«736
»Ins Gas sind viele geschickt worden…«737
»Die neuen Toten haben nicht mehr die Qualität der älteren, die von uns noch gründ-
lichst abgeduscht worden sind.«738
732 KDT, S. 497.
733 KDT, S. 172.
734 Bei der Wannseekonferenz im Januar 1942 wurde die so genannte »Endlösung der Juden-
frage« beschlossen. Vgl. Studt, Das Dritte Reich in Daten, S. 177 f.
735 KDT, S. 67.
736 KDT, S. 69.
737 KDT, S. 70 f.
738 KDT, S. 435.
230 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319