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Aber auch der Rauch und das Feuer der Schornsteine, in welchen die Zyk-
lon-B-Vergifteten verbrannt wurden, als die Aufnahmefähigkeit der Massen-
gräber in den Konzentrationslagern erschöpft war, werden wiederholt thema-
tisiert :
»… schon wieder ist eine Bekanntschaft Schall und Rauch…«739
»Wenn wir nur Geduld hätten, am Rad des Schicksals rechtzeitig zu drehen, dann
könnten wir noch die Kurve kratzen. Aber was wir dann auch essen müßten, das wäre
ziemlich angebrannt.«740
»… keuchend ziehen sich Leiber an einer unsichtbaren Reißleine bergauf, sie sind lang
im Rauch gelegen und ganz schwarz geworden, ihre Konditionen sind nicht die bes-
ten.«741
»Es singen die Jünglinge im Muffelofen der Firma J.
A. Topf
& Söhne.«742
»Asche. Große Ursache, kleiner Rest.«743
Zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zählten unter anderem die
Konzentrationslager Majdanek, Sobibor, Treblinka und Belzec. Aber ein Name
vor allen anderen ist es, der zum Synonym für die Judenvernichtung unter na-
tionalsozialistischer Herrschaft wurde : Mit »Der Ort In Polen«744 verweist
Jelinek im Roman unmissverständlich auf Auschwitz-Birkenau745. Der Name
des Lagers wird jedoch nicht genannt – die Leerstelle ist bereits deutlich genug.
In Auschwitz und in vielen anderen Lagern brannte jenes Feuer, »das in insge-
samt 46
Brennkammern im Dauerbetrieb über 24
Stunden mehr als 4700
Leute
verbrennen«746 konnte.
Auch spart Jelinek nicht an Hinweisen auf die materiellen Werte, die den
NS-Opfern im Rahmen der Arisierungen oder in den Konzentrationslagern ty-
739 KDT, S. 20.
740 KDT, S. 43.
741 KDT, S. 127.
742 KDT, S. 127 f. Zu der hier genannten Firma »Topf & Söhne« siehe Kapitel 3.2.4.2 dieser
Studie.
743 KDT, S. 589.
744 KDT, S.
632. Im Roman (die Bedeutung und Wirkung unterstreichend) mit Großbuchstaben
geschrieben.
745 Auch als »Auschwitz II« bezeichnet.
746 KDT, S. 419. 231
»Die Kinder der Toten« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319