Seite - 251 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 251 -
Text der Seite - 251 -
»Der Standard«, sondern eine »Zustandsschilderung«870 : Sie bemühe sich, für
bestimmte Inhalte auch spezifische ästhetische Methoden zu finden, die von der
Sprache selbst ausgehen.871 In dieser Hinsicht entspricht »Das Lebewohl« Je-
lineks ästhetischem Programm. Doch im Gegensatz zu den meisten ihrer ande-
ren Theatertexte gibt es in »Das Lebewohl« mit dem Sprecher eine wirkliche,
greifbare Figur, die man »notgedrungen«872 als Jörg Haider definieren könne, so
die Autorin.
»Das Lebewohl« ist zusammen mit zwei weiteren kleinen Dramen (»Das
Schweigen« und »Der Tod und das Mädchen«
II) im Jahr 2000 im Berlin Verlag
erschienen und wurde 2004 wiederaufgelegt.
Der Inhalt des Texts lässt sich wie folgt in nur wenigen Sätzen zusammen-
fassen : Der Sprecher kündigt seinen Rückzug aus der Bundes- in die Landes-
politik nach Kärnten an und verabschiedet sich mit pathetischen Floskeln von
seiner Anhängerschar : schönen, stummen Knaben, die ihm Blumen streuen und
seiner Rede andächtig lauschen. Der Abschied beinhaltet jedoch gleichzeitig
die Ankündigung der beabsichtigten Wiederkehr : »Wir werden kommen. Und
bleiben.«873 Der Rückzug wird damit als strategischer Schachzug angedeutet,
der eine fulminante Rückkehr in Aussicht stellt.
Im Zentrum des Texts steht wiederum nicht dessen Inhalt, sondern vielmehr
die Auswahl der Formulierungen, die verwendeten Bilder, Zitate und Intertexte.
Der französische Untertitel des Dramas (»Les Adieux«) bezieht sich ver-
mutlich auf Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 26 – eine Sonate, in der
das immer gleiche Thema in Variationen wiederaufgegriffen wird. Beethovens
Sonate kann als musikalisches Pendant zu der Abschiedsrede der Hauptfigur
begriffen werden, die in selbstmitleidiger Manier des Sprechers um das immer
gleiche Thema (»Ich muß jetzt in mein Bundesland zurückfahren«874) kreist.
Rückbezüge zu möglichen Prätexten sind im Falle von »Das Lebewohl«
schnell ausgemacht, denn die Autorin hat ihrem Stück dezidierte Hinweise
auf ihre Referenzliteratur vorangestellt. Zum einen dankt sie der Zeitschrift
»News« : Diese hatte im März 2000 einen Originaltext Jörg Haiders mit dem
Titel »Glücksgefühl nach bangen Stunden«875 abgedruckt, in welchem Haider
seinen Rückzug aus der Bundespolitik kommentiert hatte. Und zum anderen
870 Jelinek in einem Interview mit der Tageszeitung »Der Standard«, zitiert nach : Janke, Nestbe-
schmutzerin, S. 148.
871 Dies., zitiert nach : Ebd.
872 Dies., zitiert nach : Ebd.
873 LW, S. 23.
874 LW, zum Beispiel S. 11, 15, 25, 27.
875 News Nr. 10, S. 30 f. 251
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319