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»Das Lebewohl« aus dem Jahr 2000 stellte schließlich den Höhepunkt der lang-
jährigen Auseinandersetzung zwischen Haider und Jelinek dar. In gewohntem
Understatement stellte Jelinek ein knappes Jahr nach der ersten öffentlichen
Lesung von »Das Lebewohl« über Jörg Haider fest :
»Er wird Leuten wie mir immer überlegen sein. Der Brutalität seiner Rede hat Kunst
nichts entgegenzusetzen.«892
Was im Folgenden mit den Mitteln der Wissenschaft widerlegt werden kann.
3.3.3.1 Ein homophiler Narziss
»… meine Leidenschschaft gilt … euch Burschen,
ihr Herrlichen, Guten. Wie gute Tropfen kommt
ihr über meine Lippen …«893
Bereits in der detaillierten Regieanweisung zu »Das Lebewohl« wird das so ge-
nannte »Dritte Lager«, die politische Rechte in Österreich, als homoerotischer
Männerverein vorgeführt, in dem der Sprecher als gottähnliche Führergestalt
die Fäden zieht :
»Einige schöne Knaben, die Gesichter zu einem ewigen Lächeln geschminkt, in kind-
lichen, pludernden Spielhöschen, umringen einen Mann, der ebenfalls den Mund zu
einem zeitlos-ewigen Lächeln gemalt hat und zu den Knaben spricht. Den Mund nicht
grotesk-clownhaft, sondern wirklich schön, aber etwas unheimlich, lächelnd, sie streuen
dem Mann aus Körben Blütenblätter, die Knaben. Wenn es zu teuer ist, Knaben zu
bekommen, kann man die Blütenblätter auch vom Schürboden herunterwerfen lassen.
Nein, Mädchen kann man dafür nicht nehmen.«894
Dass sowohl die Knaben als auch der Sprecher geschminkt sind, hebt die
Künstlichkeit der Szenerie hervor. Das routinierte Lächeln der Figuren wird als
Schauspielerei entlarvt. Der geschminkte Mund des Sprechers ist außerdem
von Bedeutung, weil er zur Wiedererkennung beiträgt : Der markante Mund mit
den großen (zunächst leicht schiefen) Schneidezähnen war Jörg Haiders äußer-
liches Markenzeichen. Dieses Mannes Zähne »flammen beim Sprechen«895, so
892 Jelinek, zitiert nach : Janke, Nestbeschmutzerin, S. 152.
893 LW, S. 17.
894 LW, S. 9.
895 LW, S. 33. 255
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319