Seite - 267 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
Bild der Seite - 267 -
Text der Seite - 267 -
Die Medien waren für Haider immer ein wichtiges Instrument zur Inszenie-
rung seiner Person und zur Vorantreibung seiner politischen Ziele gewesen. In
zahlreichen Interviews und Reportagen wurde ihm auch stets viel Raum gege-
ben, um sich medial darstellen zu können – vermutlich, weil Haider immer für
einen Aufreger gut war und die Einschalt- bzw. Leserquoten dementsprechend
hoch waren. Auf der anderen Seite verstand es Haider jedoch geschickt, angebli-
che Medienhetzen gegen ihn für zwischenzeitliche Rückschläge verantwortlich
zu machen. So meldete etwa die »Neue Freie Zeitung« im Januar 1993, dass
Haider eine neue Variante für die Abkürzung »ORF« erfunden habe : »Öster-
reichs rücksichtslosester Falschmelder«967. Der Staatsrundfunk, so Haider, sei
ein Instrument der Altparteien (gemeint sind die Parteien der damals regie-
renden Großen Koalition, SPÖ und ÖVP), das »Angst, Verunsicherungs- und
Verleumdungspropaganda« verbreite, um ihm und seiner Partei zu schaden und
Loyalitätsverluste unter den eigenen Anhängern zu begrenzen.968
Jelineks Haider-Figur bringt eine weitere Opfer-Täter-Inversion ins Spiel,
die vor allem in Hinblick auf das paradoxe österreichische Gedächtnis bemer-
kenswert ist und in deren Perfektionierung sich der Original-Haider jahrzehn-
telang übte : Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus als Angeklagte und
Verfolgte darzustellen, da ihre Schuld Jahrzehnte nach der Tat doch »endlich
einmal« verjährt und vergeben und vergessen sein müsste.
Unter Haiders Schutzherrschaft habe das kollektive schlechte Gewissen zu
den Akten gelegt werden dürfen, befindet Haider-Biografin Zöchling und er-
klärt damit den großen Zuspruch, den Haider in den Jahren nach der Wald-
heim-Affäre (möglicherweise eine Inspiration für ihn) von Seiten der österrei-
chischen Wählerschaft erfahren durfte.969 In Jelineks Theatermonolog fordert
die Hauptfigur jene »Befreiung« ein, die Haider seit den späten 1980er Jahren
versprochen hatte :
»Tod will Tod. Alter Mord. Neuer Mord. Gar kein Mord. Egal. Das Schandrecht des
Mörders jetzt Ehre !«970
»Am liebsten würden wirs fortjagen, das ganze Land, wo immer nur Angeklagte wir
sein werden, vor welchem Gericht ?, doch wo herrschten wir dann, und wo wären die
Schaulustigen, die uns bewundern ?«971
967 Haider, zitiert nach : Czernin, Westentaschen-Haider, S. 163.
968 Ders., zitiert nach : Ebd., S. 169.
969 Vgl. Zöchling, Haider, S. 16.
970 LW, S. 11.
971 LW, S. 13. 267
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Titel
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Untertitel
- Eine historiografische Untersuchung
- Autor
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 328
- Schlagwörter
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319