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40 Die Jagd nach Sensationen · Pioniere der Pressefotografie
über Modeaufnahmen (etwa für die Zeitschrift Wie-
ner Mode) und die Dokumentation öffentlicher Ver-
anstaltungen bis hin zu Reportagen über aktuelle
politische, gesellschaftliche und militärische Ereig-
nisse. Es ist anzunehmen, dass ein Teil seiner Repor-
tageaufnahmen nicht von ihm selbst stammt, sondern
von seinen Mitarbeitern. Dass die Bilder unter dem
Namen des Auftraggebers und Ateliers veröffentlicht
werden, ist in diesen Jahren durchaus üblich.
Bereits früh spezialisiert sich das Unternehmen
Scolik – neben den Porträts – auf reportageartige
Bildberichte. Während etwa die Dokumentation über
das Wiener Hauptpostamt (Abb. 4) die Geschäftigkeit
eines bürokratischen Großbetriebes im Überblick und
zugleich in zahlreichen Details zeigt, ist eine Außen-
aufnahme vom Aufstieg eines militärischen Freibal-
lons in Wien ganz anders aufgebaut (Abb. 5). Dies-
mal steht das sensationelle Luftschiff im Zentrum.
Der Ballon nimmt fast den gesamten Bildausschnitt
ein, Militärs und Schaulustige am Boden werden an-
gesichts seiner Dimensionen zu Statisten. Die Auf-
nahmen aus dem Hause Scolik sind durchweg als
Einzelbilder konzipiert, nur gelegentlich werden sie
in der Zeitung zu einer Bildgeschichte zusammen-
gesetzt. Die Szenen, ob im Atelier oder im Freien
aufgenommen, sind stets sorgfältig aufgebaut. Der
Schnappschuss, die Dramatik des Augenblicks sind
Scolik fremd. Charles Scolik jun., der Sohn Charles Scoliks sen.,
arbeitet ab 1893 im Betrieb des Vaters mit. Seine
Ausbildung schließt er 1902 mit dem Gewerbeschein
ab. Nach der Jahrhundertwende ist er ebenfalls als
Pressefotograf tätig. Ab 1905 veröffentlicht er seine
Aufnahmen unter eigenem Namen. Am Beispiel der
beiden Fotografen Solik sen. und jun. lässt sich die
langsame Herausbildung des Berufs „Pressefotograf“
um 1900 sehr anschaulich illustrieren. Während der
Vater den Schwerpunkt seines Geschäftes nach wie
vor eindeutig im Atelierbetrieb sieht, wird für den
Sohn die journalistische Arbeit immer wichtiger.
Charles Scolik sen. wirbt 1908 in einer ganzseitigen
Anzeige für seinen Betrieb, er bezeichnet sich als
„k. u. k. österr.-ungar. Hof- und Kammerphotograph“,
aber nicht als Presse- oder Illustrationsfotografen. Alle
möglichen Sparten seines Könnens werden angeprie-
sen, vom Porträt bis zur Industriefotografie, von der
Produktfotografie bis zur Ansichtskartenproduktion.
Die Arbeit für die Presse scheint nur klein gedruckt
und ziemlich versteckt auf: „Reklame- und Illustrati-
onswesen“6. Verschämter könnte man die fotojourna-
listische Tätigkeit nicht darstellen. Sein Sohn arbeitet
zwar ebenfalls als Atelierfotograf, die Pressefotografie
hat für ihn aber einen ganz anderen Stellenwert. Er ist
bis in die späten 1920er Jahre als Fotojournalist tätig.
So wie Charles Scolik sen. versuchen auch andere
Fotografen ihre Bilder in der Presse unterzubringen.
Abb. 4 Ein Blick in das Wiener
Hauptpostamt. Der
Saal des
„k.
k. Brief-Speditionsamtes
Nr.
1 während der Amtsstun-
den“. Das interessante Blatt,
21.
März 1901, S.
8. Foto:
Charles Scolik.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang