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46 Die Jagd nach Sensationen · Pioniere der Pressefotografie
krise in Budapest dokumentiert, wählt er einen ganz
neuen Weg, politische Ereignisse sichtbar zu machen.
Da er die hektischen Verhandlungen hinter verschlos-
senen Türen nicht ablichten kann, zeigt er, was sich
auf der Straße vor dem Regierungsgebäude abspielt:
das Kommen und Gehen der Regierungsmitglieder,
überhastete Aufbrüche und Ankünfte. Auf diese
Weise entsteht ein interessantes Nebeneinander von
Zeitschnitten, das sehr viel von der fiebrigen Stim-
mung der Verhandlungen hinter den Kulissen zeigt.11
Das Illustrierte österreichische Sportblatt berichtet
1913 über ein umkämpftes Fußball-Länderspiel zwi-
schen Wien und Berlin. Das Titelfoto von Carl Seebald
zeigt nichts von dem Spiel, sondern einen überaus
vielsagenden Blick ins Publikum (Abb. 12). Immer-
hin 15.000 Zuschauer sind zu dem Wettkampf ge- kommen.12 Im Bildtext heißt es: „Die Wiener erlangen
mit dem dritten Treffer die Führung. Alles freut sich!
Sogar der Mann des Gesetzes (der Polizist im Vor-
dergrund, A. H.) kann ein behagliches Lächeln nicht
unterdrücken.“13 Schließlich endet das Spiel 3 : 3.
Seebald ist nicht nur ein erfolgreicher Pressefo-
tograf, sondern auch ein geschickter Unternehmer.
Ende 1908 gründet er unter dem Namen „Illustra-
tions-Unternehmung C. Seebald“ eine Fotoagentur,
die eigene und eingekaufte Fotos vermarktet. Bald
vertreibt er Bilder italienischer, französischer, briti-
scher und amerikanischer Herkunft. 1909 kann er als
einzige österreichische Agentur den Zeitungen Bilder
vom Erdbeben in Messina oder vom sensationellen
Flug des Flugzeugpioniers Blériot über den Ärmel-
kanal anbieten. Im Ersten Weltkrieg ist Seebald ein
bekannter Kriegsfotograf14, seine letzten Pressebilder
erscheinen Anfang der 1920er Jahre, 1935 erlischt
sein Gewerbeschein.
Internationalisierung der Pressefotografie
Der rasante Aufstieg der Pressefotografie hat in
den ersten Jahren nach 1900 nicht nur zu einer bei-
spiellosen Vermehrung der Zeitungsbilder geführt,
sondern auch die Art und Weise ihrer Beschaffung
grundlegend geändert. Carl Seebald, der den Weg
vom Fotografen zum Fotohändler geht, ist dafür ein
gutes Beispiel. Eine Reihe anderer Fotopioniere folgt
ihm. Sie bauen ebenfalls Handelsfirmen zur Vermark-
tung von Fotografien auf. Nach und nach entsteht ein
immer engmaschigeres Netz von Anbietern. Das erste
österreichische Unternehmen, das systematisch die
illustrierte Presse beliefert, ist die Wiener Foto- und
Fotohandelsfirma R. Lechner (Wilh. Müller). Sie hat
anfangs noch keine fremden Bilder im Programm,
sondern vermarktet in erster Linie Aufnahmen der
eigenen Fotografen. Bereits 1895 tauchen die ersten
Fotos von Lechner in den Zeitungen auf.15 Einer der
frühen Pressefotografen, der seit 1895 im Auftrag von
Lechner arbeitet, ist Hermann Heydenhaus. Er macht
sich vor der Jahrhundertwende selbstständig und
gründet zusammen mit L. Robert eine Fotoagentur.
Das Unternehmen Lechner, das als Verlagsbuchhand-
lung begonnen hat, expandiert rasch und gehört um
Abb. 12 Fußballwettkampf
zwischen Wien und Berlin.
Illustriertes österreichisches
Sportblatt, 11.
Oktober 1913,
Titelseite.
Foto: Carl Seebald.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang