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62 Bild und Text · Die Rhetorik der Zeitungsseiten
Muster zurück. In langsamen Schritten emanzipieren
sich freilich Zeitungen und Gestalter vom Ballast der
Vergangenheit. Nach und nach modernisiert sich das
Layout.
Fast immer kommt der Anstoß zu grafischen Ver-
änderungen von außen. Ökonomische Veränderungen
ziehen oft grafische Reformen nach sich. Ein wichti-
ger wirtschaftlicher Einschnitt ist in Österreich die
Abschaffung der Zeitungssteuer (des sogenannten
Zeitungsstempels) im Jahr 1900. Sie führt zu einer
Verbilligung der Zeitungen und, damit verbunden, zu
einer deutlichen Auflagensteigerung. Ebenso bringt
das Auftauchen neuer billiger, täglich erscheinender
Massenblätter Bewegung in das Gefüge der Zeitungs- landschaft. 1893 erscheint erstmals das Neue Wiener
Journal, 1900 die Illustrierte Kronen-Zeitung. Diese
Konkurrenz zwingt auch die illustrierten Wochen-
blätter zu Veränderungen. Der Einsatz der Fotografie
nimmt weiter zu, der Textanteil ist rückläufig. Aber
auch das Verhältnis zwischen Text und Bild verändert
sich. Das hat Auswirkungen auf die Umschlaggestal-
tung und auf die Seitengestaltung im Blattinneren.
Die grafische Gestaltung der meisten österreichi-
schen illustrierten Zeitungen ist in den Jahren um
1900 recht konventionell und wenig experimentier-
freudig. Während zur selben Zeit beispielsweise die
großen Wochenzeitungen in den USA (u. a. Leslie’s
Weekly, Collier’s Weekly, Harper’s Weekly) ihre Um-
schlaggestaltung in rasanten Schritten modernisieren
und auch die großen Berliner Blätter (etwa Die Woche,
die Berliner Illustrirte Zeitung u. a.) allmählich auf ge-
stalterische Innovation setzen, bleiben die Titelseiten
der großen österreichischen Illustrierten lange Zeit
auffallend unverändert. Nehmen wir als Beispiel eine
durchschnittliche, fotografisch illustrierte Titelseite
des Interessanten Blattes aus dem Jahr 1896 (Abb. 3).
Die Titelvignette, die sichtlich in der Tradition der Fa-
milienzeitschriften des 19. Jahrhunderts steht, nimmt
etwa ein Viertel der Seite ein. Sie hat sich seit der
Gründung des Blattes im Jahr 1882 praktisch nicht
verändert und wird sich – bis auf ein paar kleinere
grafische Anpassungen – auch in den nächsten vier
Jahrzehnten nicht verändern. Für das Titelbild wird
zwar ein Foto verwendet, aber die Szene selbst ist
recht statisch. Derartige repräsentative Bilder wer-
den häufig eingesetzt, hin und wieder werden auch
mehrere Bilder kombiniert. Überraschende Schnapp-
schüsse kommen hingegen kaum vor. Ohne Ausnah-
me wird das Eröffnungsbild gerahmt, nie findet ein
abfallend gedrucktes, seitenfüllendes oder gar den
Zeitschriftentitel überlappendes Motiv Verwendung,
wie dies in den US-Magazinen der Jahrhundertwende
bereits üblich ist.
Der Grund für diese konservative, beharrende ge-
stalterische Linie liegt nicht im Unvermögen begrün-
det, sondern in den Eigenheiten des österreichischen
Zeitungsmarktes, der, wie bereits ausgeführt, klein
und überschaubar ist. Dadurch ist die Auflagenent-
wicklung, im Unterschied etwa zum amerikanischen
Abb. 3 Staatsbesuch des
österreichischen Kaisers Franz
Joseph in Rumänien.
Das
interessante Blatt, 22.
Oktober
1896, Titelseite. Foto: Franz
Mandy, Hoffotograf in Bukarest.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang