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63Kolportageverbot
als Hemmschuh
oder deutschen Markt, begrenzt, ebenso das Anzeigen-
aufkommen, das für die ökonomische Absicherung
einer Zeitung unerlässlich ist. Dazu kommt, dass die
Konkurrenz zwischen den österreichischen Illust-
rierten wenig ausgeprägt ist, nach 1911 erscheinen,
wie bereits erwähnt, die beiden größten Blätter im
gleichen Verlag. Und schließlich unterscheiden sich
auch die rechtlichen Rahmenbedingungen der drei
genannten Länder. In den USA schränkt keinerlei Kol-
portageverbot den Handel mit Zeitungen ein. Schon
früh erkennen die Verleger die Kraft der Bilder und
forcieren ihren Einsatz in der auflagenstarken Mas-
senpresse. William Randolph Hearst, einer der Be-
gründer der amerikanischen Yellow Press, schreibt
1887, am Beginn seiner journalistischen Karriere, an
seinen Vater: „Illustrations embellish a page. They
attract the eye and stimulate the imagination of the
masses, and materially aid the comprehension of an
unaccustomed reader and thus are of particular im-
portance to that class of people which the Examiner
claims to address.“8 Unter dem Druck der Sensations-
tagespresse passen sich auch die amerikanischen Il-
lustrierten an. Die Titelblätter weisen bildgewaltig auf
die im Inneren der Zeitung gebotenen Sensationen
hin. Schon früh wird die seitenfüllende, oft überra-
schend inszenierte Fotografie zum entscheidenden
Verkaufsargument.
Kolportageverbot als Hemmschuh
Ganz anders ist die Situation in Europa und spezi-
ell in Österreich. Der Staat reglementiert im 19. Jahr-
hundert das Pressewesen streng. Zwar schafft das
österreichische Zensurgesetz von 1865 die härteste
Repression ab und allmählich setzt sich in den 1870er
Jahren ein liberaleres Klima in der Presselandschaft
durch. Aber Zensur und Verbote, die die Aufgabe
haben, missliebige Zeitungen und Meinungen im
Zaum zu halten, werden bis zum Ersten Weltkrieg
aufrechterhalten. Als besondere Gefahr gilt neben
der nationalistischen (v. a. tschechischen) und der
sozialdemokratischen Presse die populäre Massen-
presse, die ein breites Publikum anspricht. So wie
in anderen europäischen Ländern ist auch in Öster-
reich der Zeitungsverkauf auf der Straße im gesam- ten 19. Jahrhundert (und darüber hinaus) verboten.
In Deutschland fällt das Kolportageverbot, also das
Verbot, Zeitungen im Straßenverkauf anzubieten, im
Jahr 1904. In Österreich bleibt es noch bis nach dem
Ersten Weltkrieg bestehen, es wird erst im Jahr 1922
abgeschafft.9 Mit dem Beginn des Straßenverkaufs
ändert sich in Deutschland die Titelblattgestaltung
deutlich. Über die Kolportage steigt, vor allem in den
Städten, der Einzelverkauf rasant an. Daher müssen
die Zeitungen Woche für Woche neue Sensationen
bieten. Die traditionellen Titelvignetten werden zu-
rückgedrängt oder verschwinden ganz. An ihre Stelle
treten ein grafisch vereinfachter, leicht zu lesender
Titel, ein oft seitenfüllendes, ausdrucksstarkes Foto
und leicht zu erfassende Schlagzeilen in großen Let-
tern. Der auffallend gestaltete Umschlag wird zum
kommerziellen Aushängeschild der Zeitung.
Die österreichischen Illustrierten werden weiter-
hin vorwiegend im Abonnement verkauft. Daher ist
die bildlich innovative, auf den Straßenverkauf schie-
lende, oft auch „reißerische“ Titelblattgestaltung lan-
Abb. 4 Die Sängerin Hansi
Führer
in der Operette „Ein Tag
auf dem
Mars“, Etablissement
Kolosseum, Wien,
Nußdorfer
Straße 4. Der Samstag,
22.
Februar 1908. Foto: Ludwig
Gutmann.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang