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89Eine
neue Ära beginnt
Werkmann beherrscht das Handwerk der Bild-
propaganda perfekt. Er sorgt dafür, dass die Medien
nicht mehr von Karls Seite weichen. Zwei Fotografen,
Ludwig und Heinrich Schumann, die beiden Söhne
des bekannten Wiener Pressefotografen Heinrich
Schuhmann sen., werden eigens abgestellt, um den
Monarchen bei all seinen Reisen und Auftritten zu
begleiten. Ein Großteil der Fotos, die von Kaiser Karl
in der Presse erscheinen, stammt von ihnen, ge-
kennzeichnet stets mit dem Hinweis „Photo. Brüder
Schuhmann“.24 Wo der Kaiser auch auftaucht, sind
stets Kameras und Filmoperateure dabei. Als im Juli
1917 eine Sondernummer der illustrierten Zeitschrift
Sport & Salon herauskommt, schlägt die Imagekam-
pagne, die Werkmann für seinen Kaiser organisiert,
alle Rekorde. 141 Fotografien des Monarchen werden
unter der Regie von Werkmann allein in dieser Zeit-
schriftennummer untergebracht.
Besonders wichtig, so argumentiert Werkmann im
April 1917, sei die möglichst „rasche Dotierung der
illustrierten Blätter“ mit Kaiser-Aufnahmen. „Wenn
z. B. eine Allerhöchste Reise, wie die letzte Bozener
Reise, am Montag Vormittag endet, so müssen die
Kopien noch am gleichen Nachmittage bei den Wie-
ner illustrierten Blättern sein, wenn sie am nächs-
ten Sonntag veröffentlicht werden sollen. Eine Ver-
schiebung der Veröffentlichung um weitere 8 Tage
ist ganz unmöglich, da das zahlreiche jetzt auf allen
Gebieten vorliegende aktuelle Bildermaterial das ei-
gene Material erdrücken würde.“ Tatsächlich sei, so
Werkmann weiter, der Erfolg dieser Anstrengungen
bei der Presse so überwältigend, „daß seit vielen Wo-
chen fast keine Nummer der österreichischen und
ungarischen illustrierten Presse mehr ohne irgend-
welche Bilder erscheint, in deren Mittelpunkt die Al-
lerhöchsten Herrschaften stehen, und daß auch die
ausländischen Blätter häufiger denn je solche Bilder
reproduzieren.“25 Der Erfolg dieser propagandisti-
schen Anstrengungen bleibt nicht aus. Ab Anfang
1917 ist das Kaiserbild allgegenwärtig.
Karl ist in den knapp zwei Jahren seiner Amtszeit
pausenlos unterwegs. Er besucht unterschiedliche
Frontabschnitte und Städte im Hinterland, um die
ermattende Moral der Truppen und der Bevölkerung
zu stärken. Diese Kaiserreisen sind medial bis ins De- tail durchkomponiert. Die illustrierte Presse berichtet
ausführlich über jede dieser Unternehmungen. Als
Kaiser Karl Anfang Februar 1918 Innsbruck besucht,
erscheint wenige Tage später ein Foto von seinem
triumphalen Auftritt auf der Titelseite der Wiener
Bilder (Abb. 16). Wir sehen den Kaiser im Auto, das
von einer begeisterten Menschenmenge umringt ist.
„Die treue Bevölkerung“, so heißt es unter dem Foto,
„jubelt dem Kaiser zu.“26
Im März 1918, die Versorgungslage der Bevöl-
kerung in den Städten der Monarchie ist in diesem
Winter besonders katastrophal, die Hungersnot brei-
tet sich aus, trifft der Kaiser in der kleinen böhmi-
schen Stadt Graslitz (dem heutigen Kraslice) ein. Für
die Kamera besucht er die Volksküche der Stadt, die
der an Hunger leidenden Bevölkerung Ausspeisung
anbietet, und löffelt Suppe aus einem einfachen Tel-
ler. „Kaiser und König Karl versucht in der Graslitzer
Volksküche die Suppe“, lautet der Bildtext, mit dem
das Foto an die Presse geht. Tage später wird es unter
dem Titel „Der Kaiser im böhmischen Notstandsge-
biet“ in großer Aufmachung auf der Titelseite des In-
teressanten Blattes gedruckt.27 Nach dem Besuch der
Suppenküche schreitet Karl durch ein Spalier von
Schaulustigen. Wieder ist der Kaiserfotograf Ludwig
Schuhmann zur Stelle. „Die Jugend von Graslitz jubelt
Kaiser und König Karl beim Verlassen der Kriegskü-
che zu.“ So heißt es für die Presse.28
Eine neue Ära beginnt
Im Herbst 1918 ist der Krieg zu Ende und das
habsburgische Reich fällt innerhalb weniger Tage
in sich zusammen. Und auch die Tage Kaiser Karls
sind nun gezählt. Wie rasch sich das Kaiserimage
Karls, das unter gewaltigem Propagandaaufwand
errichtet wurde, in nichts auflöst, zeigt eine Szene,
die Stefan Zweig in seiner Autobiografie überliefert.
Am Nachmittag des 24. März 1919 erreicht der Zug,
der den letzten habsburgischen Kaiser, seine Frau
Zita und ein paar Familienmitglieder ins Schweizer
Exil bringt, Vorarlberg. Zweig, der dem versprengten
Grüppchen Habsburger zufällig auf dem Bahnhof von
Feldkirch begegnet, erinnert sich an die seltsame Ab-
schiedsszene: „Die Gendarmen, die Polizisten, die Sol-
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang