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202 Bilder als Propaganda · Die illustrierte Regierungspresse nach 1934
von Fotoreportagen (hie und da auch einfache Fo-
tomontagen), aber die Anordnung und Verbindung
zwischen Bildern und Texten ist simpel gehalten.
Als Beispiel mag eine Doppelseite vom Oktober 1936
dienen, in der über den monumentalen Massenauf-
marsch der Vaterländischen Front in Wien berichtet
wird (Abb.
10). Statt einer suggestiven Bilderzählung,
wie sie etwa wenige Jahre zuvor der Welt-Guck prä- sentiert hat, dominieren hier einfache Fototableaus,
oft mit überlappenden Bildern. Dazwischen finden
sich die in Fraktur gehaltenen Bildtexte bzw. kurze
redaktionelle Einschübe. Die Namen der Fotografen
werden bei den meisten Abbildungen nicht genannt,
mit einer Ausnahme: Lothar Rübelt. Seine Fotoarbei-
ten, meist sind es unverfängliche Sport-, Genre- und
Landschaftsaufnahmen, sind in der Österreichischen
Woche gekennzeichnet.
Das illustrierte Kampfblatt der Austrofaschisten
ist vor allem auf dem Land erfolgreich, weniger in
Wien, wo sie nur zwei konservativen Tageszeitungen
beiliegt, deren Leser ohnehin zur regierungstreuen
Klientel zählen. Zwar versucht die Regierung auch
die ehemals sozialdemokratische Arbeiterschaft vor
allem in Wien mit einer eigenen illustrierten Zei-
tung, der wöchentlich erscheinenden Bilderwoche
der österreichischen Volksschriften, zu erreichen.26
Aber der Erfolg dieser Publikation, die zwischen
1934 und 1938 erscheint, bleibt bescheiden. Wäh-
rend also die strikt antiurbane, ländlich-konservative
Ausrichtung der Österreichischen Woche ihrer massen-
haften Verbreitung in der Großstadt Grenzen setzt,
erobert sie auf dem Land tatsächlich neue Leser. Der
Österreichischen Woche gelingt es dank der massiven
Intervention der Regierung, ein seit Langem vorherr-
schendes Stadt-Land-Gefälle, das die Verbreitung der
illustrierten Presse kennzeichnet, bis zu einem gewis-
sen Grad auszugleichen.
Ein halbes Jahrzehnt lang, von 1933 bis 1938,
gelingt es der weitverzweigten austrofaschistischen
Propagandamaschinerie, die öffentliche Meinung
zu beherrschen. Im März 1938 bricht dieses Pres-
semonopol mit einem Schlag zusammen und wird,
im Zuge des Machtantritts der Nationalsozialis-
ten, durch eine andere, noch weit feinmaschigere
Pressediktatur ersetzt. Rückblickend betrachtet
ist das Jahr 1938 der zentrale Einschnitt in der Ge-
schichte der österreichischen Presse und damit
auch für die Pressefotografie. Zwar setzen auch die
Nationalsozialisten in gewisser Weise auf Kontinuität,
aber die politischen Eingriffe, die Zensur, die
Maßnahmen der rassistischen Verfolgung und der
politischen Repression sind mit dem Umbruch im
Jahr 1934 kaum zu vergleichen.
Abb.
10 Die Österreichische
Woche ist im Innenteil grafisch
einfach gestaltet. Es
überwie-
gen einfache Fototableaus, oft
mit
überlappenden Bildern. Die
redaktionellen Texte sind sehr
kurz gehalten.
Österreichische
Woche, 29.
Oktober 1936, S.
7.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang