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238 Handel mit Bildern · Die Rolle der Fotoagenturen
Gircke, Presse-Photo, Scherl, Weltbild und Haeckel
ist in der Zwischenkriegszeit eine Reihe von ameri-
kanischen Agenturen auf dem österreichischen Markt
präsent, etwa Wide World Photos, Pacific & Atlantic,
die Agentur der New York Times, Associated Press
oder Underwood & Underwood. Auch von England
aus operierende Firmen wie Continental Press Photo
oder die von dem Ungarn Bert Garai in London ge-
gründete Agentur Keystone sind in Österreich aktiv.
Einige wenige französische Firmen, etwa Charles
Trampus oder, im Bereich der Mode, Henri Manuel,
liefern regelmäßig Bilder nach Wien. Ebenso verkau-
fen Agenturen aus den kleineren Nachbarländern
Fotos nach Österreich. Unter anderem unterhält die
Zürcher Agentur Photo-Express Kontakte nach Wien,
ebenso die Prager Agentur Central European Press,
aus Ungarn liefert u. a. die Fotoagentur Ill-Pho Bild-
material19. Fotos aus der Sowjetunion werden haupt-
sächlich von der 1930 in Berlin gegründeten Agen-
tur Union-Foto (auch Unionbild) und der Moskauer
Agentur Preß-Cliché angeboten. Beide sind vor allem
in der kommunistischen und sozialdemokratischen
Bildpresse vertreten.20
Nach 1930 stoßen zu diesen klassischen Fotoagen-
turen auch neue Vertriebsformen hinzu. Vor allem die
großen amerikanischen Filmfirmen wie MGM, Para-
mount oder Fox, aber auch die deutschen UFA-Studios
bringen nun vermehrt eigene Bilder auf den Markt:
Es handelt sich um Filmstills und Staraufnahmen, die
für die neuesten Streifen werben. In zunehmendem
Maße werden aber auch Modefotos angeboten, die in
Zusammenarbeit mit berühmten Schauspielern der
großen Produktionsfirmen entstehen. Diese Entwick-
lung führt dazu, dass die heimische Modefotografie
ab etwa 1930 unter starkem Konkurrenzdruck aus
dem Ausland steht.21
Die meisten der großen Fotoagenturen haben ein
breites Bildangebot im Programm. Der Schwerpunkt
liegt in der Regel im Bereich der aktuellen Nach-
richtenbilder, teilweise reicht aber das Angebot weit
darüber hinaus. Um 1930 taucht in Berlin ein neuer
Typus von Fotoagentur auf, der alternative Wege in
der Bildvermarktung einschlägt.22 Zu dieser Gruppe
gehört etwa die 1927 von dem Wiener Rudolf Birn-
bach, geb. 1906, gegründete Agentur Weltrundschau und die 1928 ebenfalls von einem Wiener namens
Simon Guttmann, geb. 1891, gegründete Dephot. Sie
unterscheiden sich von den großen Agenturen da-
durch, dass sie statt Massenware gehobene Bildqua-
lität anbieten. Neben Einzelbildern liefern sie häufig
Fotoreportagen, die den Fotografen eine prominente
Position einräumen.23 Dephot und Weltrundschau er-
heben nicht den Anspruch, alle wichtigen Tagesereig-
nisse fotografisch abzudecken. Stattdessen berichten
sie über ausgewählte, teilweise auch ganz alltägliche
Themen, sehr oft bieten sie auch längere Reisebe-
richte an. Einige andere kleine Berliner Agenturen,
etwa Mauritius (ab 1929), Neofot (ab 1930) und Klu-
ger-Szigethy (ab 1930) arbeiten ähnlich wie Dephot
und Weltrundschau, allerdings liefern sie hauptsäch-
lich Einzelbilder, den Weg in Richtung Fotoreportage
gehen sie weniger konsequent. Sie beliefern zwar
hauptsächlich deutsche Blätter, aber der Einfluss
dieser kleinen, anspruchsvollen Berliner Agenturen
ist um 1930 auch in der Wiener illustrierten Presse
spürbar.
Anfang 1929 erscheinen die ersten Aufnahmen der
Dephot-Fotografen Umbo (Otto Umbehr) und Felix H.
Man (Hans Felix Baumann) in der österreichischen
Presse, seit Anfang 1930 sind die Agenturen Welt-
rundschau und Mauritius in Wien präsent, seit 1931
Kluger-Szigethy. Diese innovativen Bildlieferanten
tragen nicht unwesentlich zur Modernisierung der
Fotoberichterstattung bei. 1933, nach dem Machtan-
tritt der Nationalsozialisten, bricht dieser Einfluss
allerdings schlagartig ab. Ein Gutteil der zuletzt ge-
nannten Agenturen werden von jüdischen Inhabern
geführt bzw. haben Fotografen jüdischer Herkunft
unter Vertrag. Viele von ihnen flüchten ins Aus-
land.24 Die zwangsenteigneten Betriebe existieren
zwar teilweise – meist unter neuer Führung – auch
nach 1933 weiter.25 Einige von ihnen liefern unter
dem ursprünglichen Namen weiterhin Bildmaterial
nach Österreich. Aber im Grunde handelt es sich um
neue Firmen.
Einige der großen, übernational agierenden Foto-
agenturen errichten nach dem Ersten Weltkrieg
ein weltweites Netz an Vertriebsstützpunkten bzw.
Dependancen. Auch in Wien werden seit Mitte der
1920er Jahre solche Außenstellen eröffnet: Meist er-
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang