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252 Politische Bilder · Die Kultur der Arbeiterfotografie
verweist, den christlichsozialen „Polizeistaat“. Dass
der Fotograf kein wirklicher Arbeiterfotograf, son-
dern ein professionell arbeitender Pressefotograf ist,
scheint Weyr nicht weiter zu stören.14
Die „Arbeiterfotografen“, die im Kuckuck vorge-
stellt werden, sind eben nur zum Teil vereinsmäßig
organisierte Amateur-Lichtbildner. Einige von ihnen
sind klassische Berufsfotografen, die sich zeitwei-
se der Arbeiterbewegung zugehörig fühlen und um
1930 besonders viel für die sozialdemokratische il-
lustrierte Presse arbeiten. Zu ihnen gehört beispiels-
weise Friedrich Zvacek, der Anfang 1932 mit einigen
Gleichgesinnten die „Arbeitsgemeinschaft der Wie-
ner Kuckuck-Reporter“ gründet.15 Einen ähnlichen
Zusammenschluss gibt es 1933 auch in Graz. Andere
sind Amateure, die aber regelmäßig für die Presse
arbeiten und sich um 1930 im Umfeld der Sozialde-
mokraten bewegen. Zu ihnen gehören u. a. Nikolaus
Schwarz, Willi Zvacek, Rudolf Spiegel, F. Fritzek,
Willy Riethof, Ferdinand Hodek, Martin Imboden und
Hans Popper sowie einige wenige Amateurinnen wie
Edith Suschitzky (Abb.
5), Lotte Pollak, Elsa Brodt-
feld, Diana Schwarz, Minna Lenze oder Margarethe
Theile (aus Leipzig). Viele dieser der Sozialdemokra-
tie nahestehenden Amateure publizieren ihre Fotos
Anfang der 1930er Jahre häufig im Kuckuck. Manche
beliefern auch andere – auch bürgerliche – illustrierte
Zeitungen und Zeitschriften (Abb.
6). Aber sie finden
nicht nur in der Presse ein öffentliches Forum. Zahl- reiche sozialdemokratische Amateure zeigen – so wie
ihre bürgerlichen Kollegen – ihre Bilder auch regel-
mäßig in kunstfotografischen Ausstellungen.
Weyr verfolgt im Kuckuck – vor allem auf den Titel-
seiten – ein dezidiert modernes Fotoprogramm. Aber
auch im Innenteil, der konventioneller gestaltet ist,
räumt er der Fotografie der Neuen Sachlichkeit und
des Neuen Sehens immer wieder breiten Raum ein.
Alfred Renger-Patzschs Fotoband Die Welt ist schön,
der 1928 erscheint, wird 1929 im Kuckuck als „eines
der bedeutendsten Dokumente der neuen Ästhetik
und des neuen Willens zur Schönheit“ gepriesen.16
Anfang 1930 heißt es über die Fotografie der Neuen
Sachlichkeit: „Heute weiß man, daß man jedem Mo-
tiv, jeder Sache Schönheit abzugewinnen vermag. Es
kommt nur darauf an, wie man das Ding betrachtet.
Die Zeit, in der man feststellte, daß die Peripherie
einer Großstadt nicht ‚schön‘ sei, ist endgültig vor-
bei.“17 Als im Februar und März 1930 die wegwei-
sende Ausstellung „Film und Foto“ in Wien Station
macht, findet sie breite und positive Resonanz im
Kuckuck.18
Zum Leidwesen Weyrs ist der pädagogische Er-
folg der Fotowettbewerbe weitaus geringer als er-
wartet. Zwar werden zahlreiche Bilder eingeschickt
und regelmäßig „gelungene“ Beispiele veröffentlicht.
Dennoch zeichnet sich unter den Arbeiterfotografen
keine breite Zustimmung zu den von Weyr favorisier-
ten Idealen einer modernen Fotografie ab. Anlässlich
Abb.
4 „Lichtbildkunst der
Arbeiterphotographen: Der
Poli-
zeistaat“. Dieses Foto von Ernst
Kleinberg
wird als vorbildliches
Beispiel der Arbeiterfotografie
vorgestellt.
Der Kuckuck,
20.
April 1930, S.
11.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang