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262 Politische Bilder · Die Kultur der Arbeiterfotografie
Elemente – finden sich in der deutschen Arbeiter-Il-
lustrierten Zeitung. Dort werden seit 1929 regelmäßig
Texte in Gedichtform publiziert, die inhaltlich subtil
mit einer beigefügten Fotografie verschränkt sind.
Diese „Montagen“ stammen von unterschiedlichen
Autoren, u. a. von Erich Weinert, Gertrud Ring und
(unter verschiedensten Pseudonymen) vor allem
von Kurt Tucholsky. Der Kuckuck nimmt Anfang der
1930er Jahre diese Form auf. Einige der besten „Bild-
gedichte“ stammen von Jura Soyfer, der auf dialek-
tisch-witzige Weise aus der Beziehung zwischen Bild
und Text Funken schlägt. Nach dem Machtantritt der
Nationalsozialisten in Deutschland nimmt er in einem
Bildgedicht im Kuckuck auf bissige Weise die Mas- senbegeisterung für Hitler aufs Korn (Abb.
17).43 In
den letzten Zeilen dieses Textes prophezeit er: „Blutige
Jahre werden vergehen, / Dann wirst du alles verste-
hen.“44
Im Februar 1934 verliert die politisch engagierte
Arbeiterfotografie mit einem Schlag ihre – ohnehin
begrenzten – Veröffentlichungsmöglichkeiten. Alle
sozialdemokratischen Zeitungen und Publikationen
werden verboten. Diktatur und Zensur verhindern,
dass kritische Fotos in der Presse gedruckt werden.
Doch ganz am Ende ist die österreichische Arbeiter-
fotografiebewegung noch nicht. Edith Suschitzky
etwa, die sich nach ihrer Heirat 1933 Tudor-Hart
nennt, geht 1934 nach London, wo sie weiterhin als
politische Aktivistin und Fotografin im Umfeld der
englischen kommunistischen Partei tätig ist.45 Aber
auch in Österreich selbst gibt es, anders als bisher
angenommen, nach 1934 noch vereinzelte Aktivitä-
ten der Arbeiterfotografen. Einige jener Fotogruppen,
die sich bereits zuvor von politischen Themen und
Motiven ferngehalten haben, können auch danach in
eingeschränkter Form weiterarbeiten. Im Schutz der
Volkshochschulen, die sich mit dem neuen austrofa-
schistischen Regime vorsichtig arrangieren, sind die
„Photographischen Fachgruppen“ bis zum Jahr 1938
tätig. Vor allem in der Volkshochschule Ottakring
werden weiterhin Kurse, Ausflüge und sogar Foto-
ausstellungen organisiert. Auch der Kreis der Lehrer
ändert sich kaum. Noch im Februar 1935 berichtet
das Mitteilungsblatt der Volkshochschule stolz über
den Ausbau der Arbeitsmöglichkeiten: „Es ist der
Photographischen Fachgruppe gelungen, die Zahl der
Dunkelkammern von fünf auf neun zu erhöhen.“46
Die von Beginn an politikferne, „schöngeistige“
Ausrichtung der Volkshochschul-Fotoamateure ist
es, die ihnen in der Diktatur das organisatorische
Überleben sichert. Wenn man die Ausstellungen der
Ottakringer Arbeiterfotografen nach 1934 überblickt,
wird deutlich, dass sie sich in ihren Bildern immer
mehr dem konservativen Mainstream der Amateur-
fotografie annähern. Dieser tendiert in den 1930er
Jahren deutlich in Richtung Heimatfotografie mit
idyllischen Landschaften und entrückten Genresze-
nen – ein Bildprogramm, von dem sich der Kuckuck
möglichst ferngehalten hat.
Abb.
17 „Heil Hitler!“. Bild-
gedicht von Jura Soyfer. Der
Kuckuck, 23.
April 1933, S.
14.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang