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267Tiller
Girls und Jazz
es 1929 noch als Stummfilmkino eröffnet wird. Aus
diesem Grund wird eine moderne Christie-Unit-Orgel
angeschafft, die von einer einzigen Person bedient
werden kann. Sie sei „ein wahres Wunderwerk mo-
dernen Instrumentenbaues“, heißt es in der Presse.5
Allerdings werden im Apollo bereits Ende 1929 gele-
gentlich kurze Tonfilmeinlagen gezeigt. Wenige Mo-
nate später haben sich die Zeiten schon radikal geän-
dert. Das Apollo stellt als erstes Wiener Großkino auf
den Tonfilm um. Andere große Filmpaläste wie Scala,
Sascha, Lustspieltheater und Schwedenkino werden
bald folgen.
Die Bühne des alten Apollo wird beibehalten, um
weiterhin Tanz-, Varieté- und Musikshows aufführen
zu können. Der Zuschauerraum bietet höchsten Kom-
fort. Jeder Sitzplatz auf der Galerie garantiert einen
freien Blick auf die Leinwand. „Der Saal ist ganz in
Rot getaucht. Rote Damasttapeten bis zur weißen,
gewölbten, stuckverzierten Decke. Rot sind die samt-
bezogenen bequemen Fauteuils, die Läufer und der
Fußbodenbelag, mit denen Stiegen, Gänge und der
ganze Boden des Zuschauerraumes überzogen sind.“6
Hinter der Kulissen des neuen Hauses verbirgt sich
modernste Technik: Eine Dampfheizung wird einge-
baut, erneuerte Lüftungs- und Kühlanlagen sorgen
für angenehmste Raumtemperaturen.
Am 11. September 1929, dem Tag der Wiedereröff-
nung des Etablissements, treffen, gewiss nicht zufäl-
lig, Wiener Tradition und amerikanische Gegenwart
aufeinander: Vor den 1500 Besuchern wird eingangs
ein Festmarsch von Richard Strauss gespielt. Im An-
schluss wird der amerikanische Monumentalstreifen
„Lady Hamilton“ gezeigt. Dazwischen, so berichtet die
Presse, tritt die Wiener Tänzerin Grete Wiesenthal
auf, es ertönt die neue Kinoorgel „mit grandioser
Klangwirkung“ und dazwischen flimmern ein paar
Tonfilmeinlagen über die Leinwand („Straßenleben
in Shanghai“ und ein kurzer Sprechfilm von Sven
Hedin).7
Kinopaläste wie das Apollo-Kino haben großen
Anteil daran, dass populäre Amerikabilder in Öster-
reich Einzug halten. Die professionell gemachten,
leicht verdaulichen Hollywoodproduktionen treffen
den Nerv der Zeit. Aber auch Filmdokumentationen
mit Amerikathemen stoßen in diesen Jahren auf großes Interesse. 1927 etwa zeigt die Wiener Urania
den Streifen „Amerika, das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten“, in dem die USA als Inbegriff der Su-
perlative vorgestellt werden. Neben kalifornischen
Goldwäschern, die es im Handumdrehen zu Reichtum
bringen, ist ein New Yorker Hochhaushotel mit 3000
Zimmern zu sehen.
Tiller Girls und Jazz
Das österreichische Amerikabild der 1920er Jah-
re ist zum guten Teil ein Wunschbild. Es spiegeln
sich darin vor allem die Ausbruchssehnsüchte ei- Abb.
5 Das Wiener Apollo-Kino
als
Projektionsfläche
amerikani-
scher
Filmkultur. 1929 wird
das Gebäude in der Gumpen-
dorfer-Straße zum modernen
Filmpalast umgebaut. Mein
Film, Nr.
195, S.
11.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang