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334 Frauen hinter der Kamera · Die neuen Fotografinnen
die Athletin den höchsten Punkt erreicht hat. Wir se-
hen sie in der Luft und mitten in der Bewegung: ein
Bein hochgerissen, die Arme weit ausgestreckt. Ihre
kühne Bewegung füllt den Bildraum zur Gänze aus.
Der Kommentar zur Szene lautet: „Die Frau, jahrhun-
dertelang die Sklavin des Mannes, beginnt auf allen
Gebieten des Lebens selbständig zu werden.“5
Noch zehn Jahre zuvor wäre ein solches Frauen-
bild ein Stein des Anstoßes gewesen. Nun, Mitte der
1920er Jahre, hat sich die Rolle und die öffentliche
Wahrnehmung der Frau grundlegend geändert. Zwar
ist die junge, klassenbewusste Proletarierin, die sich
im Sport wie in der Gesellschaft über althergebrachte
Geschlechternormen hinwegsetzt, keineswegs das ak-
zeptierte Ideal der gesamten Gesellschaft. Die Emanzi-
pationsbestrebungen der Frauen äußern sich im bür-
gerlichen Lager weit zurückhaltender. Und dennoch:
Auch in der bürgerlichen Welt hat sich nach dem Ers-
ten Weltkrieg die Rolle der Frauen radikal verändert.
Die Fotografie ist ein guter Gradmesser für diese
Entwicklung. Nicht nur die Sujets vor der Kamera
spiegeln die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse
wider. Auch hinter der Kamera kommt es zu tief grei-
fenden Änderungen. In den 1920er Jahren entdecken
zahlreiche junge, selbstbewusste Frauen – viele von ihnen sind gutbürgerlicher Herkunft – die Fotografie
nicht nur als Zeitvertreib, sondern als Beruf – und als
Medium künstlerischen Ausdrucks.
Neben Annie Schulz beginnt in diesen Jahren eine
ganze Reihe von Fotografinnen Einzelbilder und Re-
portagen für die Presse zu liefern. Zu den interes-
santesten österreichischen Fotografinnen der neuen
Generation zählt Marianne Bergler, geb. Blumberger.
Sie ist wie Annie Schulz 1897 geboren und beginnt
1927 mit der kommerziellen Fotografie. Sie unterhält
ein Atelier in der Rotenturmstraße in Wien, wo sie im
Bereich der Porträt-, Mode- und Theaterfotografie tä-
tig ist. Daneben arbeitet sie auch für die Presse. Eini-
ge Jahre lang, von 1927 bis 1930, arbeiten Schulz und
Blumberger geschäftlich zusammen. Sie vermarkten
ihre Bilder, v. a. Mode- und Theateraufnahmen, aber
auch Alltagsbilder und Sozialstudien, unter dem Na-
men Blumberger-Schulz. Seit 1929 publizieren die
beiden auch Fotoreportagen. In der Bühne etwa er-
scheinen mehrere Bildgeschichten von Blumberger
und Schulz zu Alltagsthemen: über den Aberglauben,
Frauenhände, Puppen und Marionetten oder über ein
Wiener Kinderheim. Eine Aufnahme aus der Kinder-
heim-Serie wird 1929 auch in der Kölnischen Illust-
rierten Zeitung veröffentlicht (Abb.
5).
Abb.
5 „Was gibt es heute zu
essen?“ Szene aus einem Wie-
ner Kinderheim,
Ausschnitt aus
der Themenseite „Im Frühling
des Lebens. Kinderstudien“.
Kölnische Illustrierte Zeitung,
1.
April 1929, S.
421. Foto:
Blumberger-Schulz.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang